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Πρωθυπουργός της Ελλάδας (edited) via VisualHunt, CC BY-SA 2.0
Während
der Westen sich in der Propagandafalle des türkischen Staatspräsidenten
verfangen hat, der mit seinen absurden Nazi-Vergleichen die gewünschten
Reaktionen erzielte, ist der Propagandaapparat der AKP schon viel weiter.
So
kann man in sozialen Netzwerken in Postings seiner Anhänger immer öfter
die Formel "Bu bir savaş. Hilal ve Haç arasındaki bir savaş"
lesen (Dies ist ein Krieg. Ein Krieg zwischen Halbmond und Kreuz).
Damit
wird das Narrativ vermittelt, der Gegner westlicher Regierungen sei nicht der
türkische Staatspräsident, sondern der Westen verschwöre sich
gegen türkische Muslime und den Islam. Diese Erzählung kann man seit
2016 vermehrt auch in türkischen Regierungsmedien hören und lesen.
Eine
Erzählung, die jede einzelne Spannung mit den westlichen Nationen erklärt
-einschließlich der jüngsten Krise zwischen der Türkei und den
Niederlanden. Die AKP Medienmaschine sagt den Türken, der Westen sei nicht
wirklich besorgt über den Autoritarismus von Recep Tayyip Erdoğan. Sondern,
dass der Westen befürchte, dass die Türkei eine mächtige, unabhängige
und tugendhafte Nation werde.
Das ist ein Indiz dafür, dass Erdoğan
tatsächlich autoritär ist, weil er post-kemalistischen Nationalismus,
Patriotismus und Erdoğanismus gleichsetzt. Und damit alle Erdoğan-Kritiker im
Inland als Feinde der Nation betrachtet.
Ob die kemalistisch-sozialdemokratische
CHP, die links-kurdische HDP, die kurdische PKK oder die religiöse Hizmet-Bewegung
um Fethullah Gülen. Alle sind ‚Feinde des türkischen Volkes‘, die
mit allen Mitteln bekämpft werden müssen.
Der Islam - oder
genauer gesagt eine Art sunnitischer Islam in AKP-Auslegung in Verbindung mit
post-kemalistischem Nationalismus als Synthese eines islamistischen Nationalismus
- spielt dabei in der AKP-Ideologie eine große Rolle.
Der Westen
ist damit nicht nur der Feind der türkischen Muslime und der islamischen
Religion, sondern auch deren Antithese. Muslime sind moralische, ehrliche, anständige
Menschen, während der Westen korrupt, entartet und heuchlerisch ist.
Die AKP-Ideologie ist ein typischer Fall des ‚Okzidentalismus‘, der -
genau wie sein Spiegelbild, der Orientalismus - eine ganze Zivilisation für
seine eigenen Vorurteile und Ambitionen dämonisiert.
Der Begriff
Okzidentalismus beschreibt kein reales ‚Abendland‘ sondern antiwestliche und
antimodernistische Projektionen. Dieser mehrdimensionale und uneinheitlich definierte
Begriff wurde primär durch Ian Buruma und Avishai Margalit unter dem Eindruck
der Anschläge des 11. September 2001 geprägt.
Den Ausgangspunkt
bilden dafür jedoch nicht Islamismus oder Salafi Dschihadismus, sondern,
neben der deutschen Romantik, der antiwestliche japanische Nationalismus der
1930er-Jahre. Aber nicht nur nationalistische und militaristische Gruppierungen
sahen im damaligen Japan ‚den Westen‘ als Feindbild, sondern auch viele marxistische
Strömungen Japans.
In diesem gegen den Westen gerichteten Feindbild
wird ‚der Westen‘ als ein homogenes Gebilde mit einer technizistischen Moderne
gleichgesetzt und mit allen Zumutungen des Kapitalismus ebenso verbunden wie
mit Liberalismus, Atheismus und - zumindest in einigen Fällen - Sozialismus
und Kommunismus.
All dies ist eng mit einer schrankenlos gedachten
Sexualität verbunden, die insbesondere die weibliche Sexualität (illustriert
mit dem Bild der ‚Hure‘) als Bedrohung gesellschaftlicher Moralität und
Stabilität sieht.
Diese angeblichen Auswüchse der auf Aufklärung,
industrieller Revolution und politisch-säkularen Ideologien beruhenden
Moderne werden als ‚anderes‘ manichäisch dem ‚eigenen‘ entgegengestellt.
Der Okzidentalismus dient zur Beschreibung des eigenen zur Abgrenzung des anderen, um Stereotype zu schärfen und Feindbilder zu konstruieren.
Ein bekanntes Beispiel für islamistischen Okzidentalismus ist die
Ideologie der arabisch-sunnitischen Muslimbruderschaft, die sich für die
Errichtung einer Islamischen Ordnung (‚Nizam Islami‘) innerhalb des Rahmens
der Scharia einsetzt.
Die Bruderschaft wendet sich gegen alles, was
als ‚Verwestlichung‘ angesehen wird. Der Westen dient seit der Zeit des Kolonialismus
als Feindbild und wird für den Niedergang der islamischen Welt verantwortlich
gemacht.
Dies nicht zuletzt, weil die Muslimbruderschaft 1928 auch als
nationalistische Reaktion auf die britische Kolonialherrschaft und den Einfluss
Großbritanniens auf Ägypten gegründet wurde, der offiziell 1922,
faktisch aber erst 1956 beendet wurde.
Auch der Okzidentalismus von Erdoğan
setzt als Antithese das Feindbild Westen seiner eigenen Version einer autoritär
regierten 2. türkischen Republik entgegen, die sich auf eine identitätsstiftende
Ideologie aus politisch ausgerichteter Religion, post-kemalistischem Nationalismus,
Patriotismus, Wirtschaftsliberalismus und Neo-Osmanismus gründet.
Erdogan
führt die AKP als charismatischer Herrscher. Im Erdoğanismus bilden die
Partei und Erdoğan eine Einheit, die Staat, Regierung und Gesellschaft nach
eigenem Belieben designen kann.
Die aktuellen Warnungen von AKP-Seite vor kommenden Religionskriegen in
Europa stilisieren den sich verschärfenden Konflikt zwischen Erdoğans Okzidentalismus
und westlicher Wertegemeinschaft zu einem religiösen Clash of Civilizations
hoch.
Die immer schriller werdenden Töne aus der Türkei überspielen
die reale Schwächeposition des türkischen Staatspräsidenten,
der das Schicksal seiner politischen Existenz und den Nimbus der Unverwundbarkeit
seiner Herrschaft an das anstehende Referendum gekoppelt hat, dessen Ausgang
ungewiss ist.
Der Westen sollte sich dies verdeutlichen. Auf die Provokationen
in gewünschter Weise zu reagieren, spielt dem Staatspräsidenten in
die Hände. Europas Regierungen sollten daher auf die Provokationen mit
Gelassenheit und Nichtbeachtung reagieren. Und eine rote Linie des ‚bis hierhin
und nicht weiter‘ ziehen, deren Überschreitung entsprechende Sanktionen
zur Folge hat.
Die dann gegebenenfalls auch folgen müssen: von
einem generellen Auftrittsverbot für AKP-Politiker bis zu wirtschaftlichen
Sanktionen, weil die liberalen Werte Europas nicht Toleranz um jeden Preis beinhalten.