Das schreckliche Attentat bei einem Popkonzert zeigt: Der Terrorist ist der Feind des Westens, kein Freund auf Abwegen. Wer vor seinem Hass die Augen verschließt, wird verlieren
So schwer es unserem spätmodern-temperiertem Denken fallen mag:
Mit Terroristen gibt es nichts zu verhandeln / picture alliance
Wieder hat ein Selbstmordattentäter zugeschlagen. Wieder endet ein Tag in einer Metropole des Westens mit Blut und Tod, mit Schreien und Verzweiflung, nun in Manchester, zuvor in Paris, Brüssel, Nizza, Berlin, London, Stockholm. Wieder, wieder, wieder. Was bleibt jenseits der Ohnmacht des Seriellen? Der Terror ist eine Hydra mit ungezählten Köpfen, ein schlimmer Götze, der Menschenopfer will. In Manchester verlangte dieses Ungeheuer Kinderblut. In Manchester wurde die Jugend ermordet, das Publikum einer Sängerin für Teenager, Ariana Grande. Darum schockt uns diese Gewalttat besonders. Kinder sind der Inbegriff des Unschuldigen, sind Menschen im Werden. Kinder verdienen Schutz. Wer sie mordet, versündigt sich auf besonders infame Weise an der Gattung, der er angehört. Und will zugleich eine Generationenfolge kappen.
Doch schockt es uns wirklich? Winken wir nicht müde ab, haben wir uns nicht längst an den Terror gewohnt, diesen Kollateralschaden einer grenzenlos vernetzten Welt? Acht eng beschriebene Seiten fasst mittlerweile die Wikipedia-Übersicht der Terrorakte allein zwischen dem 2. April 2015 („Kenia, Täter: al-Shabaab, 148 Tote“) und 22. Mai 2017 („Manchester, Täter: unklar, 22 Tote, 59 Verletzte“). Sie wird sich fortsetzen, diese Liste des Grauens, sich hineinfräsen in unser Bewusstsein und dort auf der Soll-Seite in roter Farbe verbucht werden. Terror beginnt als momentane Sorge und triumphiert als ewige Drohung. Vermutlich wird der Täterstatus „unklar“ bald durch einen Namen ersetzt werden – ein 23-jähriger Tatverdächtiger wurde festgenommen – und wird bald in der Rubrik „Politische Ausrichtung“ das Adjektiv „islamistisch“ stehen. Der Terror des 21. Jahrhunderts trägt nicht immer, aber meistens ein islamistisches Gesicht. Es sind meistens, nicht immer Muslime, die mit dem eigenen Tod die Tode der anderen zu legitimieren meinen. Ein Fanal sollen die Morde sein.
Aus ihnen spricht Hass – ein eliminatorischer Hass auf den Westen,
meilenweit entfernt von jenen geradezu kommoden Verkehrsformen, über die
gerade in denselben Metropolen Stellvertreterdebatten geführt werden.
Der islamistische Hass ist nicht virtuell, sondern real und tödlich. Er
entspringt einer Ideologie, die auf denkbar unversöhnliche Weise ein im
Westen für überwunden geglaubtes Phänomen aktualisiert, den Feind. Der
Selbstmordattentäter markiert das Ende aller Diskurse, aller Dialoge,
letztlich aller Politik. Noch das Stammeln in seinem Angesicht legt
davon Zeugnis ab: Es sei eine „unbegreifliche Tat“ gewesen. Sagte etwa die deutsche Bundeskanzlerin.
Unbegreiflich ist diese Mordgier lediglich vor dem Hintergrund eines
Politikmodells, das in jeder Differenz die Vorstufe zu einem Kompromiss
sieht, jedwede Ansicht zur Verhandlungsmasse am runden Tisch des Lebens
erklärt und, wie man zuweilen sagt, jeden Fremden zum Freund
verniedlicht, den man noch nicht kenne. Der Terrorist ist ein Feind, der
das Böse will und das Böse schafft. Er ist nicht der potenzielle
Partner, der auf die schiefe Bahn geriet, nicht der Verhandlungsführer
von morgen. Der Terrorist will den Tod, nichts sonst, und er findet ihn.
Gegen ihn ist kein diskursethisches Kraut gewachsen. So schwer es
unserem spätmodern-temperiertem Denken fallen mag: Da gibt es nur ein
Entweder-Oder, nichts dazwischen. Da gibt es nichts zu verhandeln.
Insofern ist der Terrorist, als Feind betrachtet, die schärfste
Anfrage an fast sämtliche Prinzipien, die wir gemeinhin dem guten Leben
zurechnen. Dass da immer eine Brücke sein müsse über Unterschiede
hinweg; dass man das Gespräch nicht abreißen lassen dürfe; dass jeder
Mensch sich ändern könne; dass wir alle gerne friedlich leben wollten:
Nein, sagt der Terrorist, ich bin anders, ich teile diese Ansichten
nicht, ich will diese Freiheiten nicht haben, ich will euren Tod.
Bedauerlicherweise ist diese Generalabsage an eine zivile Minimalmoral
nicht nur unter Terroristen verbreitet.
Als im Februar des vergangenen Jahres das Meinungsforschungsinstitut ICM die Studie „Was britische Muslime wirklich denken“
veröffentlichte, lauteten einige Ergebnisse: 23 Prozent der britischen
Muslime räumen der Scharia gegenüber staatlichen Gesetzen den Vorrang
ein. Fünf Prozent befürworten Steinigung als Bestrafung bei Ehebruch,
vier Prozent sympathisieren mit muslimischen Selbstmordattentätern – in
absoluten Zahlen wären das 100.000 britische Unterstützer solch
bestialischer Taten, wie sie in London oder Manchester geschehen sind.
Ein ehemaliger Vorsitzender der staatlichen Kommission für
Gleichberechtigung und Menschenrechte folgerte damals, die Integration
der Muslime sei „wahrscheinlich die härteste Aufgabe, die wir je vor uns
hatten“. Es sei an der Zeit, „unseren abgestandenen Multikulturalismus
aufzugeben, den manche noch immer so lieben, und einen weitaus
zupackenderen Ansatz in Sachen Integration durchsetzen“.
Daran hat sich nichts geändert, sei es in Großbritannien, sei es in Frankreich, sei es in Deutschland. Hinzu kommt: So wie es Grenzen der Verständigung und des Dialogs gibt, gibt es auch Grenzen der Integration. Das Böse kann nicht integriert, es muss besiegt werden, ebenfalls auf zupackende Art. Der Anschlag von Manchester bestätigt auf das Traurigste, was wir gerne verdrängen: Es ist Krieg. Wer davor die Augen verschließt, der wird ihn verlieren.