Der Islamexperte Dr. Tartsch zur deutschen Wahl

Die deutsche Bundestagswahl markierte nicht nur den Beginn der Kanzlerdämmerung, da der politische Zuspruch für Angela Merkel zunehmend erodiert, die offiziell noch bis 2021 das Amt ausüben will. Aber inoffiziell innerhalb der Union für das schlechteste Wahlergebnis seit 1949 verantwortlich gemacht wird.

Ebenso haben CSU und SPD die schlechtesten Wahlergebnisse seit 1949 erzielt, während sich die AfD als drittstärkste politische Kraft etablieren konnte.

Wobei die Partei in Ostdeutschland zweitstärkste politische Kraft wurde, wo neben der SPD auch teilweise die CDU überholt wurde.

Damit wird seit 1961 (Auflösung der rechtsgerichteten Deutschen Partei [DP], die 15 Bundestagsmandate innehatte) eine politische Partei im Bundestag vertreten sein, die sich nach offizieller Lesart rechts von der Union positioniert.

Was inzwischen keine politische Richtungseinordnung mehr darstellt, da sich fast alle Parteien seit Jahren in einer diffusen Mitte positioniert haben, wo inhaltliche Beliebigkeit politischer Positionen als Eintrittskarte benötigt wird.

Womit eine Partei rechts von der Union im Grundsatz die Position der früheren Union einnimmt, als Parteien noch Alleinstellungsmerkmale der jeweiligen sozialen Milieus vertraten.

Womit man, im Gegensatz zu vielen Kollegen in der Politikwissenschaft, derzeit keine endgültige Verortung der AfD im Parteiengefüge Deutschlands vornehmen kann, da die Partei zwar 2013 gegründet wurde.

Ihre Erfolgsgeschichte aber erst nach einer Spaltung im Juli 2015 und den Ereignissen im Spätsommer 2015 begann, als man in Folge in 10 Länderparlamente einziehen konnte.

Somit besteht die heutige AfD etwas mehr als zwei Jahre. Eine viel zu kurze Zeitspanne, um derzeit eine endgültige politische Einordnung vornehmen zu können, da sich junge Parteien in der Findungsphase, mit abzusehenden innerparteilichen Häutungen, befinden.

Das haben die GRÜNEN gezeigt, die Jahrzehnte brauchten, um ihre heutige politische Positionierung innerparteilich durchzusetzen.

Auch der immer wieder verwendete Begriff Rechtspopulismus bietet hier keinen Kompass zur Richtungsbestimmung, da der Begriff nicht nur keine einheitliche politikwissenschaftliche Definition besitzt, sondern auch nach politischer Gesinnung benutzt werden kann und wird, um den politische Gegner im politischen Tagesgeschäft zu stigmatisieren.

Ebenso bestätigt das Ergebnis der BT-Wahl meine letzte Einschätzung vom 22.9., da die AfD als einzige Partei Themen wie Islam/Islamismus, Innere Sicherheit/Terrorbekämpfung und Zuwanderung/Integration offensiv besetzte, während die anderen Parteien diese Themen marginal thematisierten.

Dieser Trend wird sich in den anstehenden Wahlen bis zur nächsten BT-Wahl 2021 fortsetzen, da diese Hotspot-Themen an Bedeutung zunehmen werden, was auch weiterhin nicht offensiv thematisiert werden soll (Gegensatz zwischen öffentlicher Meinung und verordneter veröffentlichter Meinung).

Daran werden sich auch die im Raum stehenden Koalitionsmöglichkeiten großen Koalition und Jamaika-Koalition ändern.

Die Jahre der großen Koalition hat am Ende wie eine Betonplatte über dem Land gelegen, da politische Kontroversen im Konsens erstickt wurden, bis man das Stadium des politischen Komas erreichte.

Eine Jamaika-Koalition ist ein fragiles Gebilde, wo die Union ihre letzten konservativen Position aus Gründen des Machterhaltes aufgeben muss und wird, da die GRÜNEN als Juniorpartner eine politische Machtposition erhält, die der Partei nicht zusteht.

Dazu kommt die Idiosynkrasie zwischen CSU und GRÜNE, die sich auch in einer eventuellen Koalition nicht ändern wird.

Somit ist es fraglich, ob Jamaika bis 2021 halten würde, womit bei einem eventuellen Bruch der Koalition das Ende der Kanzlerschaft von Angela Merkel feststeht.

Und das bei einer Union, die für die Zeit nach Frau Merkel keinen Nachfolger besitzt, da das System Merkel jeden weggebissen und weggelobt hat, der ihr hätte gefährlich werden können. Mithin die CDU und Angela Merkel eine unauflösbare Symbiose bildeten, da viele CDU-Wähler nicht die CDU, sondern die Bundeskanzlerin wählten.

Das Ergebnis der AfD, die ihren offensiven Kurs in den Hotspot-Themen fortsetzen wird, kann sich aber nicht entspannt zurücklehnen.
Erstens besitzt die Partei aufgrund ihrer jungen Historie keine Stammwählerschaft, die über 5% liegt, die man in Deutschland für einen Einzug in ein Landesparlament und den Bundestag benötigt. Vielmehr stammen die meisten der jetzigen Wählerstimmen von Wechsel-, Protest- und Nichtwählern.
Zweitens fehlt es der Partei derzeit an einer breiten gesellschaftlichen Verankerung in Westdeutschland, wo auch in Zukunft Wahlen gewonnen werden. Das zeigen die Einzelergebnisse der BT-Wahl in den Bundesländern.

Dies ergibt sich aus der Demographie, da bei dieser BT-Wahl die Alterskohorte 60+ die quantitativ größte Wählergruppe stellte.

Alles Menschen, die in der Heimeligkeit der Bonner Republik aufwuchsen und vom wirtschaftlichen Wohlstand der fetten Jahre profitierte, da diese Generation der Baby-Boomer die letzten Rentner sein werden, die noch Renten erhalten, die zum Leben ausreicht, während auf die nächsten Generationen vermehrt Altersarmut wartet.

Diese Wählergruppe will, in ihrer Sehnsucht nach einer Restauration der Gewissheit in der Bonner Republik, keine radikalen Parolen und Positionen, die teilweise in der ostdeutschen AfD vertreten werden, mit denen man aber in Westdeutschland keine Wähler aus dem liberal-konservativen Spektrum generieren kann, welches die anvisierte Zielgruppe der AfD sein sollte.

Ebenso spielen die unterschiedlichen politischen Kulturen in West- und Ostdeutschland, aufgrund der unterschiedliche verlaufenen Historie von 1949 - 1989/1990, eine Rolle.  Hinzu kommt die nicht vollzogene innerdeutschen Einheit, da sich viele Ostdeutsche vom Westen bevormundet, betrogen und hintergangen fühlen.

Was teilweise berechtigt ist. Aber ein anderes Thema darstellt, was oftmals im Ausland nicht verstanden wird.

Drittens wächst die AfD nicht schnell genug mir den Erfolgen, da die derzeitige Personaldecke mehr als dünn ist. Das gilt auch für fachlichen Ressourcen, die für die Partei tätig sind.

In meinen Hotspot-Themen sehe ich daher derzeit keine Impulse für lösungsorientiertes Issue Management, die von der AfD ausgehen, um diese Hotspot-Themen im Zeitablauf gesellschaftlich konsensfähig zu thematisieren.

Vielmehr werden in den verschiedenen Themen seit Jahrzehnten bekannte Satzbausteine beständig gemischt und repetiert, mit denen man kurzfristig Wählerstimmenmaximierung betreiben kann.

Will die AfD aber mehr sein als ein Resonanzboden für kurzfristige Stimmenschwankungen, die sich von Wahl zu Wahl hangelt, muss die Partei  mit entsprechenden fachlichen Ressourcen aufrüsten, um die erwähnte breite gesellschaftliche Verankerung zu erzielen, mit dem auch ein entsprechendes Potential von Stammwählern generiert wird, welches langfristig über 5% liegt.

Sollte die AfD in den nächsten vier Jahren im Bundestag die angesprochenen Punkte (politische Verortung im demokratischen Parteienspektrum liberal-konservativen Zuschnitts, breite gesellschaftliche Verankerung in West- und Ostdeutschland, Aufrüstung der personellen Ressourcen für die kommenden Jahre, die entsprechende Positionen in den Hotspot-Themen formulieren und vermitteln können) umsetzen, besteht die realistische Option, spätestens 2021 die SPD als zweitstärkste politische Kraft abzulösen, die seit der Neoliberalisierung durch Gerhard Schröder schon längst keine Volkspartei und keine Vertreterin der Mittelschicht mehr ist.

Um dann mit der Union, die sich nach der Zeit von Angela Merkel grundlegend ändern muss, eine Regierungskoalition einzugehen, da die Union, trotz derzeitiger Verfassung und Überformung der Partei mit der Person Angela Merkel, noch die meisten Schnittpunkte mit der AfD aufweist.

Bis dahin werden in einer Welt, wo Unordnung die neue Ordnung ist, die jetzigen wahlentscheidenden Hostspot-Themen immer mehr an Bedeutung gewinnen, da die Majorität der Menschen die bestehenden Denk- und Diskussionsverbote nicht mehr hinnehmen werden.

Siehe dazu auch meine Ausführungen vom 22.9.2017!

Dr. Thomas Tartsch - www.thomastartsch.org