Computer & Roboter übernehmen...

… die Weltwirtschaft

Publiziert am 3. Dezember 2017 von Wilfried Müller auf www.wissenbloggt.de

Im Too-big-to-fail-Club steht ganz vorn JPMorgan Chase. Dieselbe Großbank steht an erster Stelle der Liste, wenn es um die Herren der Weltwirtschaft geht. An zweiter Stelle steht dort die weltweit größte Schattenbank BlackRock. Und hintenrum murkelt ein Computer namens Aladdin an den strategischen Entscheidungen. So das Bild in a nutshell (Bild: geralt, pixabay).

Das riesige Computersystem Aladdin managed etwa 30.000 Investmentportfolios im Wert von etwa 18 Billionen Dollars, entsprechend 7%-10% aller Vermögenswerte weltweit. Die "heimliche Weltmacht" BlackRock allein verwaltet bloß schäbige 6 Billionen Dollars (die Zahlen stammen aus den verlinkten wiki-Seiten).

Hier also die Liste der systemrelevanten Banken mit dem empfohlenen Eigenkapitalpuffer (Too-big-to-fail-Club, je höher der Puffer, desto systemrelevanter und gefährlicher, 1. Link unten):
 JP Morgan Chase   2,5 %
 Bank of America, Citigroup, Deutsche Bank, HSBC  2,0 %
 Bank of China, Barclays, BNP Paribas, China Construction Bank, Goldman Sachs, Industrial and Commercial Bank of China Limited, Mitsubishi UFJ FG, Wells Fargo 1,5 %

Hier fällt auf, dass die Schattenbanken fehlen, deshalb nochmal eine Liste der größten Investoren aus beiden Bereichen. In der 2. Abteilung sind diejenigen herausgezogen, die besonders viel CDS verkaufen. Siehe da, auch hier ist JP Morgan Chase dabei (2. und 3.):
 BlackRock, UBS, State Street, Vanguard, Capital Group, Harris Associates, Natixis, Wellington, Fidelity, Dodge&Cox, Amundi, Société Générale, Morgan Stanley, PNC, Barclays CDS +/-
 JP Morgan Chase, Deutsche Bank, Crédit Suisse, Goldman Sachs CDS ++

Die CDS sind wichtig (3.): Es gibt heute kaum noch einen Kredit ohne Kreditausfallversicherung (CDS), mit dem sich der Kreditgeber gegen Zahlungsausfall des Schuldners absichert. Seit der Deregulierung der Finanzmärkte ist das gefährlich geworden, denn die Spekulanten können CDS auch kaufen, wenn sie gar keine Kredite vergeben. Viele Spekulanten, speziell Hedgefonds, sehen sich gezielt nach unsicheren Krediten um und schließen darauf Ausfallversicherungen ab, d.h. sie wetten auf deren Ausfall. Je mehr das tun, desto größer wird die Summe beim Ausfall des Schuldners – das können Billionen sein. Insbesondere Hedgefonds (Vermögensverwaltungen für Milliardäre) lauern im Hintergrund und warten nur darauf, dass es zu Zahlungsausfällen kommt.

So also kassieren JP Morgan Chase, die Deutsche Bank, die Crédit Suisse, die einschlägig bekannte Großbank Goldman Sachs usw. ab. Das Umfeld wäre dammit abgesteckt, und die neuen Herren der Weltwirtschaft treten auf (4.). Der Artikel der NachDenkSeiten stammt von Jens Berger und gibt wirklich zu denken. Die neuen Herren der Weltwirtschaft sind Vermögensverwaltungen und institutionelle Investoren, Firmen, die sich gern Investment Management oder Asset Management nennen. Laut NDS haben bei den meisten großen Aktiengesellschaften solche Investoren das Sagen. In fast allen Fällen sind das große Finanzunternehmen, das Vermögen von Kunden verwalten und selbst kein nennenswertes Vermögen haben.

Hier geht es nicht mehr um Shareholder Value oder Stakeholder Value, sondern um eine "noch schlimmere Macht". Bei 25 der 30 Dax-Unternehmen halten diese Investoren laut NDS mehr als 50% der Anteile, so dass sie direkt die Unternehmenspolitik bestimmen können. Dasselbe gilt für amerikanische, britische, französische und sonstige Aktiengesellschaften der westlichen Welt (nicht für China und Russland). Die Investoren können zwar nicht direkt die Entscheidungen fällen, denn das machen die Vorstandsvorsitzenden. Aber die Investoren setzen die Vorstandsvorsitzenden ein.

Sie tun das nach unbekannten Kriterien, und hinter allem steckt ein Computer – Aladdin tritt nun richtig auf. Es geht um ein Monstrum, einen Cluster aus 6.000 Hochleistungsrechnern, um die größte Risikobewertungsmaschine der Welt. Nach den Worten der NDS ist Aladdin der Superlativ im Finanzwesen schlechthin. Und wer programmiert die Algorithmen, die die Welt beherrschen?

Das sind keine Betriebswirtschaftler oder Juristen, sondern Informatiker, Mathematiker, Ingenieure, Biologen, Chemiker und Mediziner, die mit Spitzenbewertungen die Spitzen-US-Unis absolviert haben. Bei BlackRock & Co. laufen keine Cowboys herum, sondern Eierköpfe in Flip-Flops und Shorts. Und sie stricken Algorithmen, die komplett intransparent sind. Selbst die Politik ahnt laut NDS nicht einmal, wie die Herren der Weltwirtschaft auf Regulierungen oder Gesetze reagieren werden. Klar sei bloß, dass mittel- bis langfristig die Rendite das oberste Ziel der Algorithmen ist (warum es nicht kurzfristig auch so sein sollte, wird nicht begründet).

Die NDS trauern den Familienunternehmen mit ihren langfristigen sozialverträglichen Strategien nach. Sie meinen: Dass Aladdin weiß, was gut für die Gesellschaft ist und ob sein Algorithmus mit Parametern wie Glück, Umwelt, Freiheit, Gleichheit, Angst und Zukunft überhaupt etwas anfangen kann, darf getrost bezweifelt werden.

Zweierlei Bedenken werden geäußert: Dass die Macht über die großen Konzerne der Welt heute von intransparenten Vermögensverwaltungen ausgeübt wird, sei zutiefst verunsichernd. Und dass deren Schnittstelle zum Menschen aus noch intransparenteren Algorithmen besteht, erst recht.

1. Intransparente Vermögensverwaltungen
Für diese erste Verunsicherung werden Gründe geliefert, die auf dem System von Überkreuzbeteiligungen und Querverbindungen beruhen, die am Beispiel von BlackRock aufgezeigt werden. BlackRock gehört fast  komplett institutionellen Investoren (PNC, Barclays, Wellington, Vanguard, State Street usw. usf.). Und diese institutionellen Investoren gehören allesamt … institutionellen Investoren. NDS dazu: Wir haben es mit einem selbsttragenden und selbsterhaltenden System zu tun, in dem die Verwalter des Vermögens dem Vermögen selbst gehören.
Wer alles dabei ist, zeigt nicht nur die Liste der Banken und Schattenbanken oben. Die Kundenliste von BlackRock wird von Öl- und Devisenfonds der erdölproduzierenden Staaten und von Staaten mit chronischen Devisenüberschüssen wie China angeführt. Darauf folgen die großen Pensionsfonds und Versicherer. Durch die Privatisierung der Daseinsvorsorge landen die Gelder aus Lebensversicherungen, privaten Krankenversicherungen und Altersvorsorgeprodukten in den Kapitalmärkten und damit bei BlackRock & Co. Privatkunden sind laut NDS erst ab 50 Millionen Euros Mindestanlagesumme gefragt, die Selbstauskunft von Blackrock sagt aber 5.000 Dollar.

2. Intransparente Algorithmen
Wie auch immer, die Macht, die mit dem ganzen Vermögen verbunden ist, wird praktisch an die Vermögensverwalter übertragen. Die Macht geht nun über von Tycoons, Oligarchen und Magnaten auf noch intransparentere Algorithmen – es gibt laut NDS bald keinen Ansprechpartner mehr, an den man sich in Sachen Mitarbeiterinteressen, Umweltschutz oder gesellschaftlicher Verantwortung wenden könne.
Computer-Cluster wie Aladdin sprechen nicht mit Hans Mustermann und noch nicht mal mit Angela Merkel. NDS sorgt sich, dieser Dystopie kämen wir immer näher und merkten es noch nicht einmal. Im gesellschaftlichen Diskurs spiele dies Thema keine Rolle. Es gäbe aber politische Maßnahmen, um die Entwicklung in den Griff zu bekommen – soweit die NDS.

Allerdings ist man vielerorts darauf aufmerksam geworden, dass die Reichen immer reicher werden, dass etwa dem oberen 1% der USA 35-37% des gesamten US-Vermögens gehört. Dass das mit der Privatisierung der Daseinsvorsorge zu tun hat, speziell mit der Machtübertragung durch den Fluss von allgemeinen Geldern an den Klassenfeind, dieser Hinweis ist das Verdienst der NDS.

Man unterstützt mit seiner Renten- und Lebensversicherung die Too-big-to-fail-Industrie. Ohne es zu wollen, hilft man dem Ausbeuter, dem Abzocker, dem Klassenfeind.

Was die Machtübernahme der intransparenten Algorithmen angeht, ist der Kenntnisstand aber eher mau. Gewiss können die Aladdins nicht mit Begriffen wie Glück, Umwelt, Freiheit, Gleichheit, Angst und Zukunft umgehen, und sie wissen nicht, was gut für die Gesellschaft ist. Bloß die Entscheider, die dahinterstehen und die generellen Strategien bestimmen, die wissen das.

Und sie tun natürlich das Gegenteil, nämlich das, was für die Besitzenden gut ist. Das sieht man an der erfolgreichen Bereicherung der Reichen.

Man weiß nicht, bis zu welchem Level die Aladdins schon die Entscheidungen treffen. Man darf jedoch annehmen, dass keine Skrupel im Weg sind, mit CDS und sonstigen Derivaten gegen die Allgemeinheit zu wetten und dabei beliebig viel Schaden anzurichten. Das tun die Zocker aber auch ohne Computerhilfe schon lange, da helfen die Maschinen quasi nur bei der Marmeladisierung der Verantwortung.

Die Klage, dass die Aladdins nicht mit Hans Mustermann sprechen, dürfte sich im Übrigen bald erledigen. Das werden die Maschinen bald sehr gut können. Wenn die Hans Mustermanns ihre Kündigungen computermäßig ausgesprochen kriegen, werden sie sehr nett ausfallen.

Medien-Links:
1. FSB publishes 2017 G-SIB list (Financial Stability Board 21.11.). Das FSB listet die 30 wichtigsten Banken mit dem jeweiligen Prozentsatz des Eigenkapitalpuffers, den sie bei ihren Investitionen halten sollen. 2017 list of global systemically important banks (G-SIBs) (Financial Stability Board 21.11.)
2. IWF an EU: Enteignet eure Bürger! (scharf links 15.7.16): Insbesondere Hedgefonds (Vermögensverwaltungen für Milliardäre) lauern im Hintergrund und warten nur darauf, dass es zu Zahlungsausfällen kommt.
3. Finanzlobby verhindert Regulierung von CDS (Lobbypedia): Die von McCreevy ins Leben gerufene "Working Party on Derivatives" setzte sich neben den betreffenden Behörden der EU ausnahmslos aus Vertretern der Finanzindustrie zusammen. … Neben 10 Vertretern der EU und ihrer Mitgliedstaaten fanden sich dort 34 Vertreter der Finanzindustrie, davon ganze 25, die selber enge Verbindungen zum Swap- und Derivathandel haben. Folgerichtig verschwand das Verbot von bestimmten Finanzinstrumenten wie naked Credit Default Swaps völlig von der Agenda.
4. Die neuen Herren der Weltwirtschaft (NachDenkSeiten 29.11.): Wir haben es mit einem selbsttragenden und selbsterhaltenden System zu tun, in dem die Verwalter des Vermögens dem Vermögen selbst gehören.

Weitere Links von wb:
Goldman Sachs: Spiel mit dem Untergang
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