Seit diesem Jahr ist die sogenannte "Majestätsbeleidung"
in Deutschland nicht mehr strafbar. § 103 des Strafgesetzbuches (StGB)
wurde durch das "Gesetz zur Reform der Straftaten gegen ausländische
Staaten" vom 17.07.2017 (BGBl. I S. 2439) mit Wirkung zum 01.01.2018 aufgehoben.
Die
Norm lautete:
"103. Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer
Staaten.
(1) Wer ein ausländisches Staatsoberhaupt oder wer mit Beziehung
auf ihre Stellung ein Mitglied einer ausländischen Regierung, das sich
in amtlicher Eigenschaft im Inland aufhält, oder einen im Bundesgebiet
beglaubigten Leiter einer ausländischen diplomatischen Vertretung beleidigt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, im Falle der
verleumderischen Beleidigung mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf
Jahren bestraft.
(2) Ist die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder
durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) begangen, so ist § 200
anzuwenden. Den Antrag auf Bekanntgabe der Verurteilung kann auch der Staatsanwalt
stellen."
Der breiten Öffentlichkeit bekannt geworden war der
Tatbestand im Jahr 2016 im Zusammenhang mit dem deutschen Satiriker und Moderator
Jan Böhmermann, der von dem türkischen Staatspräsidenten Recep
Tayyip Erdoğan aufgrund eines Fernsehbeitrages wegen Verstoßes gegen §
103 StGB angezeigt worden war.
Mit Bescheid vom 04.10.2016 stellte die Staatsanwaltschaft
Mainz das Ermittlungsverfahren gegen Böhmermann wegen Beleidigung von Organen
und Vertretern ausländischer Staaten ein (Az: 3113 Js 10220/16). Die hiergegen
eingelegte Beschwerde des türkischen Staatspräsidenten hat die Generalstaatsanwaltschaft
Koblenz mit Entscheidung vom 13.10.2016 (Az: 4 Zs 831/16) als unbegründet
zurückgewiesen (Az: 4 Zs 831/16).
Dieses zum Politikum gewordene
Verfahren war der Auslöser für die Initiative des Bundesjustizministers
zur Streichung der Norm. In der Begründung des Gesetzesentwurfs der
Bundesregierung unter Federführung des Bundesministeriums der Justiz und
für Verbraucherschutz zur Streichung des § 103 StGB heißt es:
"Für
den Ehrenschutz von Organen und Vertretern ausländischer Staaten erscheinen
die Straftatbestände des 14. Abschnitts (Beleidigung), §§ 185
ff. StGB, ausreichend. Insbesondere bedarf es zum Schutz von Organen und Vertretern
ausländischer Staaten nicht des gegenüber den §§ 185 ff.
StGB erhöhten Strafrahmens. … Die Vorstellung, die Repräsentanten
ausländischer Staaten benötigten einen über die §§
185 ff. StGB hinausgehenden Schutz der Ehre, erscheint nicht mehr zeitgemäß.
§ 103 StGB ist daher entbehrlich und kann aufgehoben werden."
Parlament
und Regierung haben also erkannt, dass ein politisches Sonderstrafrecht für
den Ehrschutz von ausländischen Staatsvertretern im 21. Jahrhundert nicht
mehr zeitgemäß ist. Ein Sonderschutz für Staatsoberhäupter
rührt nach Ansicht des Strafrechtsprofessors Marco Mansdörfer ganz
generell aus der Zeit der Monarchie und ist zudem keineswegs konsequent: "Warum
soll ausgerechnet die Verunglimpfung des Bundespräsidenten speziell unter
Strafe stehen? Wo bleiben der die Leitlinien der Politik bestimmende Bundeskanzler
und der Präsident des Verfassungsgerichts als oberster Hüter des Rechts?
Hätte man in Zeiten des Linksterrorismus nicht auch die Vorstandsvorsitzenden
der Deutschen Bank besonders schützen müssen?"
Dieselben
Überlegungen greifen auch für die Sonderrechtstatbestände des
Religionsstrafrechts im Allgemeinen und für den sogenannten "Blasphemietatbestand"
im Besonderen. Die Norm lautet:
"§ 166 Beschimpfung von Bekenntnissen,
Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen
(1) Wer öffentlich
oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen
oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die
geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe
bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft,
wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine
im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung,
ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet
ist, den öffentlichen Frieden zu stören."
Die (geschäftsführende)
Bundesregierung und der neu gewählte Bundestag sollten bei der Streichung
des § 103 StGB also nicht stehen bleiben. Denn auch § 166 des Strafgesetzbuches
gehört abgeschafft. Die betroffenen Personen und Personengruppen sind
in Deutschland hinreichend per Gesetz geschützt, unter anderem bei Beleidigung
(§185 StGB), übler Nachrede (§ 186 StGB), Verleumdung (§
187 StGB) und Volksverhetzung (§ 130 StGB). Hinzu kommt, dass kein rechtliches
Argument bekannt ist, warum gläubige Menschen im säkularen Staat eine
Bevorrechtung gegenüber Atheisten, Azahnfeeisten und allen sonstigen Nicht-Gläubigen,
oder auch gegenüber Parteimitgliedern und Fußballvereinsmitgliedern
erhalten sollen.
§ 166 StGB räumt den Religionen und den
sich auf diese beziehenden Fundamentalisten eine Sonderstellung ein und verletzt
das Rechtsstaatsprinzip. Gemäß Art. 103 Abs. 2 GG muss die Strafbarkeit
gesetzlich bestimmt sein, bevor die Tat begangen wurde. Jedoch wird nach
§ 166 StGB die Meinungsäußerung erst nachträglich durch
das Handeln des "Opfers" zu einer Straftat, nämlich, wenn das
"Opfer" für eine Störung des öffentlichen Friedens
sorgt oder damit droht oder einer Religionsgruppe mit einer ausreichenden Anzahl
an gewaltbereiten Anhängern angehört, bei der die deutschen Strafverfolgungsbehörden
mit einer Störung des öffentlichen Friedens rechnen können.
Im
Mittelalter sollten die Vorläufer des Gotteslästerungs-Paragrafen
dazu dienen, die christliche Gemeinschaft vor dem Zorn ihres Gottes zu schützen.
Sein rechtsgeschichtlicher Kontext ist aus der Zeit, als die unangefochtene
Amtskirche die Religionsfreiheit als Kapitalverbrechen begriff. Auf das
Vergehen stand der Tod im Diesseits und ergänzende, umfassende Folter im
Jenseits. Das änderte sich im weltlichen Gerichtswesen Deutschlands durch
die Aufklärung. Das Rechtsgut wandelte sich vom Schutz des Gottes, über
den Schutz der Gefühle der Gottesgläubigen bis heute zum Schutz des
öffentlichen Friedens. Denn Religionen konnten bislang nicht nachweisen,
dass es den zentralen Gegenstand der Beschimpfung, den persönlichen Gott
als Zentrum des beschimpften Bekenntnisses, überhaupt gibt. Und dennoch
blieb der Geist des religiösen Vorrechtes bestehen und heute ermutigt §
166 StGB die gläubigen Menschen, sich beleidigt zu fühlen und ihre
Emotionen aggressiv bis hin zur Gewaltsamkeit zu äußern.
Hierzulande gibt es ja noch einen deutlich schlimmer formulierten Paragraphen,
weil darin ausschließlich religiöse Bereiche genannt werden, die
Beschimpfung von Weltanschauungen ist nicht verboten:
Herabwürdigung
religiöser Lehren - § 188. Wer öffentlich eine Person
oder eine Sache, die den Gegenstand der Verehrung einer im Inland bestehenden
Kirche oder Religionsgesellschaft bildet, oder eine Glaubenslehre, einen gesetzlich
zulässigen Brauch oder eine gesetzlich zulässige Einrichtung einer
solchen Kirche oder Religionsgesellschaft unter Umständen herabwürdigt
oder verspottet, unter denen sein Verhalten geeignet ist, berechtigtes Ärgernis
zu erregen, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe
bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.