Summertime Blues

Publiziert am 10. Februar 2018 von Wilfried Müller auf www.wissenbloggt.de


(Das Bild von Rob984 basiert auf Bildern von Ssolbergj und maix, Wikimedia Commons)

Schon 1958 sang Eddie Cochran: But there ain't no cure for the summertime blues. Nun, für die Sommerzeit gibt's eben keine Heilung. Das ist der Eindruck, den das EU-Parlament derzeit weckt (seihe die Links unten 1., 4.,-6.). Zunächst könnte man spekulieren, das sei eine weitere Beschäftigungstherapie nach Glühbirnenverbot, Gurkenkrümmungsnormierung und Staubsaugerdrosselung. Aber diesmal handelt es sich um eine in Finnland eingebrachte Petition – bei näherer Betrachtung erweist sich die Europäische Demokratie als  "überraschend direkt und bürgernah".

Diese Erkenntnis entnimmt man dem Leserforum der Zeit (1.), wo die Leserkommentare wieder mal eine Menge Information zusammentragen (mit Humor und ganz ohne redaktionell entfernte Posts). Nicht jeder versteht das europäische Procedere, wo auf die Petition erstmal das EU-Parlament tätig wurde und mit eindeutiger Mehrheit zwar nicht die Abschaffung der Sommerzeit beschloss, aber eine Aufforderung an die EU-Kommission, die Vor- und Nachteile der Zeitumstellung genau zu untersuchen und die Regelung gegebenenfalls abzuschaffen ("also erst einmal Fakten auf den Tisch").

Es gibt schon eine Menge Gutachten, die sich dafür oder dagegen aussprechen (2.), Russland ist schon ausgestiegen (3.), und Polen tut's nächstes Jahr – die Lage ist uneinheitlich. Das ist auch kein Wunder, denn wie ein Forist anmerkte, könnte ja rauskommen, dass in Bayern eine Mehrheit für die Abschaffung ist und in Andalusien eine Mehrheit für die Beibehaltung. Soll dann wieder eine lokale Zeit eingeführt werden wie vor der Vereinheitlichung? Oder zwingt man den Regionen die Meinung des Gesamtstaats auf, der dann womöglich noch was anderes beschließt? Da gibt's 300 Millionen "gefühlte Meinungen", wie ein anderer Kommentar sagt, und die bunte Vielfalt der anderen Kommentare gibt ihm recht.

Kommentare von genervt bis wurscht & humorig

Die Pros und Contras halten sich in etwa die Waage. Es wird von Erhebungen gesprochen, nach denen 3/4 für die Abschaffung der Sommerzeit sind, aber im Internet verstecken die sich anscheinend.

Wann die Sonne im Zenit steht, um 12 (Winterzeit) oder um 13 Uhr (Sommerzeit) ist eher nicht so wichtig, und an den meisten Orten kommt das ja auch nicht so genau hin. Aber das Hellwerden am Morgen und das Dunkelwerden am Abend sind Gegenstand eifriger Diskussion. Es gibt jeden Standpunkt, Umstellung beibehalten oder abschaffen, zurück zur allgemeinen Winterzeit, oder auch allgemeine Sommerzeit. Und der Flachs blüht:
Abschaffung der Winterzeit, es wäre doch sehr angenehm, wenn es auch im Winter zum Abend hin etwas länger hell ist.
○ Noch besser wäre die Abschaffung des Winters, den braucht doch kein Mensch.
Zustimmung: Ich bin auch dafür, den Winter abzuschaffen.
○ Kommt doch schon. Schauen Sie sich die Klimakurve an, warten Sie noch ein paar Jahrzehnte, und kein Winter mehr.
○ Auf Grund der globalen Klimaerwärmung plädiert ein Forist sogar dafür, weltweit schon jetzt vorsorglich nur noch die Sommerzeit gelten zu lassen.
Der Genialität sind keine Grenzen gesetzt: Wir stellen nur eine halbe Stunde um! Über eine halbe Stunde mehr oder weniger morgens und abends zu meckern, wäre nun wirklich übertrieben, und wir wären endlich diese blöde Zeitumstellung los!
Na dann darf wissenbloggt auch einen Vorschlag unterbreiten: Wie wär's denn, wenn jeden Tag um 12 auf 13 Uhr umgestellt wird? Dann wird es morgens eher hell und abends länger dunkel. Und um 1 Uhr wird auf Mitternacht zurückgestellt.

Darf man das denn?

Man könnte solche Fragen einfach an den Bürger weitergeben, wird geäußert. Allerdings geht die Aktivität ja von Finnlands Bürgern aus. Da sei es sowieso entweder den ganzen Tag hell oder den ganzen Tag dunkel, wird geflachst. Im Ernst kommt dann die Aussage, dass es nicht einfach Sache der Bürger eines Landes ist, denn wir stellen die Zeit nicht im Alleingang um. Deutschland und die anderen EU-Länder haben 1996 beschlossen, dass unterschiedliche Zeitzonen ein Hindernis im Binnenmarkt sind und somit EU-Sache.

Ganz anderer Meinung ist ein individualistischer Kommentator: Wenn er das macht, dann ist es gut, wenn man das mit ihm macht, dann ist das schlecht!

Die arme inere Uhr

Damit ist man bei der Diskussion um die inneren Probleme der Umstellerei angelangt. Da ist die Rede von Jetlag und nicht Jetlag durch die Zeitumstellung:
○ Warum sollte den Menschen aufgebürdet werden, zweimal im Jahr einen Jetlag zu haben – auch denen, die garnicht fliegen wollen?.
Wegen der einen Stunde? Was passiert eigentlich bei 7 Tage schlechtem Wetter, und dann Sonne? Das gibt einen viel größeren Unterschied für die innere Uhr.
○ Außerdem haben fast alle Menschen zum Wochenende andere Bettzeiten.
○ Ein
selbst Betroffener findet es eine Frechheit, wenn wegen der einen Stunde jedes halbe Jahr so ein Theater gemacht wird. Er hat als Schichtdienstarbeitender quasi mehrmals wöchentlich "Zeitverschiebungen" von acht Stunden hin oder her: Aber, klar, die eine Stunde jedes halbe Jahr, die ist ja sooo gesundheitsschädlich!

Hin und Her

Andere empfanden es in ihrer Kindheit als grauenhaft, das Haus zu verlassen, so lange es noch dunkel war. Deshalb finden sie die heutige Regelung gut und wünschen sich keine Veränderung.

Das Gegenteil wird auch artikuliert; ein anderer Forist sieht keinen Grund, warum die Umstellerei überhaupt beibehalten werden sollte, da sie nachweislich keinen Nutzen bringe. Das weiß man seit bald 40 Jahren, dass die Zeitumstellung "keinen positiven energetischen oder wirtschaftlichen Effekt" bringe, oder sogar "negative Folgen für die Gesundheit der Menschen."

Die Zeitumstellung sei eine unnötig von unausgelasteten, mäßig begabten Sesselfurzern eingeführte Verschlimmbesserung einer Sache, bei der keinerlei Problem bestand, zum Zweck der Selbstprofilierung, lautet eine besonders harsche Kritik.

Ist aber nicht so, heißt die Entgegnung, denn die Sommerzeit gab's in einigen europäischen Staaten lange bevor es eine EU-einheitliche Regelung gab. Dann allerdings war die Sommerzeit in den 80ern mit das erste, was die EU bzw. EG regulierte (also noch EG-Arbeit). Und jetzt haben wir in der EU 3 Zeitzonen (mit 4 Bezeichnungen): WEZ (in Großbritannien GMT genannt), MEZ und OEZ, und alle stellen auf Sommerzeit um (Bild oben).

Manche tun's sogar ganz, ganz sachte: es wird von Bauern berichtet, die wecken die Kühe tatsächlich über eine Woche jeden Tag 10 Minuten früher. Das liest sich wie eine Persiflage, ist aber wohl keine. Anders steht es um die persiflierende Kritik: Wieder einmal wird mir bewusst, dass wir ohne das EU-Parlament gar nicht überlebensfähig wären.

Mag ja sein, aber an der Zeitumstellung kann man das nicht festmachen. Und wenn man's ganz genau nimmt, muss man noch diesen Rüffel zum Summertime Blues akzeptieren: Was die Freunde der Winterzeit nach Foristenaussage wohl nie begreifen: Es ist nicht früher hell, es ist nur später früh.
 

Medien-Links:
1. Zeitumstellung: EU-Parlament fordert Überprüfung der Sommerzeit (Zeit Online 8.2., über 200 Kommentare): Einige EU-Abgeordnete halten die Regelung zur Zeitumstellung für überholt, andere gar für schädlich. Für die Abschaffung der Sommerzeit fand sich aber keine Mehrheit.
2.
Biorhythmus – Die Folgen der Zeitumstellung (Spektrum.de 26.3.15): Viele Menschen klagen nach der Uhrenumstellung über eine Art Minijetlag. Tatsächlich sind sich Forscher inzwischen relativ sicher, dass der Wechsel zwischen Winterzeit und Sommerzeit unsere innere Uhr aus dem Gleichgewicht bringt.
3.
Zonenzeiten in Russland (wiki): Nach anhaltender Kritik aus der Bevölkerung kehrte Russland am 26. Oktober 2014 wieder zur Normalzeit zurück und schaffte die frühere temporäre Umstellung auf Sommerzeit ab.
4.
EU lawmakers urge review of summer clock changes (Reuters 8.2.): EU lawmakers backed a motion on Thursday calling for an assessment of whether Europe should stop moving clocks forward and back between summer and winter time, following a call from Finland.
5.
Ende der Zeitumstellung? Nach Votum im EU-Parlament: Sommerzeit soll auf den Prüfstand kommen (Focus Online 8.2.): Das Votum am Ende der Debatte war 384 EU-Abgeordnetenstimmen für die Abschaffung der Sommerzeit und 154 dagegen. Jetzt wird das Parlament die EU-Kommission dazu auffordern, sich mit der Zeitumstellung auseinanderzusetzen und dann entsprechende gesetzliche Grundlagen zu erarbeiten. Dass die Sommerzeit wirklich abgeschafft wird, ist also noch nicht sicher.
6.
Zeitumstellung – EU-Parlament spricht sich gegen die Sommerzeit aus (Welt 8.2.): Das bedeutet nun nicht gleich die Abschaffung der Sommerzeit, setzt aber einen Prozess in Gang: Mit ihrem Antrag fordert das Parlament die EU-Kommission dazu auf, die Vor- und Nachteile der Zeitumstellung genau unter die Lupe zu nehmen und die Regelung gegebenenfalls abzuschaffen.

PS von atheisten-info:
Als alter Eddie Cochran Fan macht meinereiner eine musikalische Zugabe, der Summertime Blues live aufgeführt (Town Hall Party - 1959):