Für viele Menschen gilt die Förderung von globalen Wanderungsbewegungen
als "links" und humanistisch. Ein Blick auf kapitalistische Eliten-Strategien
zum Thema Migration zeigt aber, dass sich die "No Borders"-Anhänger
vor einen neoliberalen Karren spannen lassen.
Wer die Forderung nach
offenen Grenzen noch immer für eine "linke" und humanistische
Position hält, der sollte nachlesen, wie die kapitalistischen Eliten das
Thema "internationale Migration" einordnen: vor allem als ein
Feld, auf dem Profite zu holen sind, und als eine Tendenz, die im Sinne der
Weltwirtschaft gefördert werden sollte. Das belegt ein Papier des Weltwirtschaftsforums,
das der Journalist Norbert Haering ausgegraben
hat.
Vielleicht sollten sich selbst als "links" bezeichnende
Verfechter von "offenen Grenzen für alle" überlegen, was
für eine gefährliche, neoliberale und ganz und gar nicht "linke"
Ideologie sie da unterstützen. So wäre etwa der Vorsitzenden der
Linkspartei, Katja Kipping, eine Lektüre des Manifests
der radikal-kapitalistischen Migrations-Förderer vom Weltwirtschaftsforum
dringend zu empfehlen.
Die Benennung der handfesten Interessen der Wirtschaft
an internationaler Migration hat im Übrigen nichts mit Fremdenangst oder
gar Rassismus zu tun. Die Pflicht, Menschen in Not helfen zu müssen und
diesen ihre Würde zu lassen, soll durch diesen Text nicht relativiert werden.
Hier wird keineswegs das Asylrecht angezweifelt. Kritisiert wird stattdessen,
dass jene Menschen, die 'offene Grenzen für alle' fordern, oft gleichzeitig
die aktuellen vom Westen initiierten Kriege gegen Afghanistan, Syrien, Irak
oder Lybien unterstützen - also die Fluchtursachen mit erzeugen. Außerdem
wendet sich dieser Text gegen eine neoliberale Forcierung der Arbeits-Migration
über die Flüchtenden hinaus.
Das Konzept, das Norbert Haering in den Untiefen des Archivs des World
Economic Forums (WEF) aufgespürt hat, trägt den Namen "Warum
Migration gut fürs Geschäft ist" ("The Business Case
for Migration") und ist bereits aus dem Jahr 2013 - darum aber umso interessanter
in Bezug auf die Gegenwart. Denn die Veröffentlichung liegt vor der europäischen
Flüchtlingskrise. Danach wäre ein Papier zu dem Thema schwerlich in
einem solch unbekümmerten und offenen Tonfall gehalten worden. Hier geht
es nicht um romantische Nächstenliebe, sondern schlicht darum, "das
globale Angebot an Arbeit mit der globalen Nachfrage in Einklang zu bringen".
So
stellt das WEF in seinem Konzept fest, dass "die Wettbewerbsfähigkeit
der Unternehmen" durch "Migranten und Migration eindeutig verbessert
werden" kann. Wären nicht die sturen und migrations-skeptischen Regierungen:
"Restriktive und unflexible Politiken der Regierungen bringen die Unternehmen
in Gefahr", weil sie den freien Fluss der Völkerwanderungen bremsen
würden, so das WEF. Darum schlägt das Forum vor, die Rolle der Regierungen
zurechtzustutzen: "Migration wurde früher verstanden als eine Beziehung
zwischen einem Individuum und dem Staat. Heute versteht man sie besser als Beziehung
zwischen einem Individuum und einem Arbeitgeber, vermittelt über den Staat."
Der
Staat also als Vermittler und Lenker eines international vagabundierenden Lumpenproletariats,
dass je nach Bedarf in jene Winkel der Erde "migriert", wo es seine
Haut gerade zu Markte tragen darf - eine staatliche Vermittlung zu Diensten
der "Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen". Diese Praxis soll
aber laut WEF nicht dazu führen, "dass der Privatsektor die nationale
Migrationspolitik bestimmen sollte". Natürlich nicht, wer würde
denn so eine Dreistigkeit vermuten?
Andererseits soll die Propaganda für das Migrationsmodell doch lieber
der Staat produzieren, da es sich als schwierig herausgestellt habe, "den
Privatsektor effektiv in die Migrationsdebatte einzubeziehen", so das WEF.
Das sei der Fall, wegen der "Sorge der Unternehmensführer, dass sie
den Zorn der Bevölkerung auf sich ziehen, wenn sie sich für Migration
aussprechen". Und weil die Konzernlenker fürchten, "dass Politiker
nicht gewillt sein könnten, ihren Empfehlungen nachzukommen, insbesondere,
wenn diese beinhalten, die Dämme gegenüber der Migration abzusenken".
Da
der Privatsektor aber ein Interesse daran habe, auf Talente aus der ganzen Welt
zuzugreifen und neue Märkte zu entwickeln, müssten Regierungen "im
Interesse der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und des Wirtschaftswachstums
den Ton der Debatte verändern und sich für Migration einsetzen".
Hier wird sie bereits im Jahr 2013 vom Großkapital explizit eingefordert:
die "Willkommenskultur".
Eine andere neoliberale und migrationsfördernde Lobby-Gruppe ist
die grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung. Und die nimmt die vom
WEF zugespielten Bälle in ihrem Bericht vom Dezember 2017 dankend auf.
In ihrer Broschüre "Einwanderungsland Deutschland - Bericht der Kommission
Perspektiven für eine zukunftsgerichtete und nachhaltige Flüchtlings-
und Einwanderungspolitik" schreiben
die Autoren: "Die großzügige Aufnahmepolitik und die überwältigende
Willkommensgeste der Bevölkerung im Sommer 2015 und danach haben Deutschland
in weiten Teilen der Welt beachtlichen Respekt und Aufmerksamkeit eingebracht."
Gestiegen
sei aber nicht nur die Zahl von Geflüchteten, sondern auch die Einwanderung
nach Deutschland insgesamt, stellt die Böll-Stiftung fest, ohne diesen
Befund jedoch angemessen zu den Entwicklungen in den Herkunfts- oder den Zielländern
in Relation zu setzen: Stärkung rechtsextremer Tendenzen und zunehmender
Konkurrenzkampf in der Unterschicht in den Zielländern? "Brain-Drain"
und sonstige Schwächung in den Herkunftsländern? Für die Autoren
sind das eher nebensächliche Fragen. Denn die Hauptsache ist doch: "Deutschland
gehört heute neben den Vereinigten Staaten, Kanada oder Großbritannien
zu den wichtigsten Einwanderungsländern unter den OECD-Staaten."