Mediendienst: Frau Wehling, in Ihrem Buch über "Politisches
Framing" kritisieren Sie den Gebrauch des Wortes "Islamophobie".
Warum?
Elisabeth Wehling: Islamophobie ist, wie Homophobie,
ein ganz schlechter Frame. Eine Phobie ist eine Angststörung, die zu panischen
Reaktionen führt. Der Begriff blendet aus, dass Ausgrenzung und Herabwürdigung
selten aus einem Affekt heraus geschehen, sondern meist Ausdruck von bewussten
Haltungen sind. Das ideologische Konzept, das dahinter steht, ist die Idee eines
gesellschaftlichen Antagonismus: Die passen nicht zu uns, die gehören nicht
hierher. Diese Haltung führt zu bestimmten Handlungen.
Atheistische
Anmerkung: Dass eine Phobie, eine Krankheit ist, ist natürlich eine
richtige Tatsachenfeststellung, allerdings stammt der Begriff "Islamophobie"
aus dem Islam und wurde deshalb wohl unhinterfragt nachgeplappert, hier das
Originalzitat aus den Arab News über eine Konferenz der Außenminister
der islamischen Staaten in Islamabad vom 17.5.2007: "The foreign ministers
termed Islamophobia the worst form of terrorism and called for practical steps
to counter it." Die Außenminister bezeichneten Islamophobie als die
schlimmste Form des Terrorismus und forderten praktische Gegenmaßnahmen.
Der Frau Wehling ist das Wort jedoch deswegen unsympathisch, weil der Islam
damit herabgewürdigt würde.
Mediendienst:
Manche Wissenschaftler sprechen lieber von "antimuslimischem Rassismus".
Ist das ein besserer Begriff?
Elisabeth Wehling: Es
gibt ja eine ganze Reihe von Gruppen, die angefeindet, systematisch ausgegrenzt
oder unterdrückt werden. Dazu gehören Schwarze in den USA, da nennt
man es Rassismus. Bei Frauen ist es Sexismus. Ich weiß nicht, ob man den
Begriff des Rassismus übertragen sollte auf Gruppen, die wegen ihrer Religion
angefeindet werden. Ich denke, dafür sollte es einen eigenen Begriff geben,
weil es ein eigenes Phänomen ist.
Atheistische Anmerkung:
Das ist auch richtig beobachtet, der Islam ist eine Religion, eine Weltanschauung
und keine Rasse.
Mediendienst: Was schlagen Sie vor?
Elisabeth
Wehling: Alles, was die jeweilige Aktivität in den Vordergrund
stellt: also Ausgrenzung, Abwertung, Hassrede oder Hetze. Ich würde für
einen weiter gefassten Begriff plädieren und von Hetze sprechen, von Hetze
gegen eine religiöse Minderheit. Denn wenn wir von Islamfeindlichkeit und
Islamhass sprechen, lenken wir davon ab, dass meist ganz konkrete Menschen davon
betroffen sind und nicht eine Religion.
Atheistische Anmerkung:
Aha, wenn jemand den Islam kritisiert, dann ist das Hetze gegen eine religiöse
Minderheit. Wie ist das bei anderen Religionen? Darf man dann in Österreich
die katholische Religion kritisieren, die protestantische aber nicht, weil sie
auch eine religiöse Minderheit ist? Und was ist dann mit einer Kritik des
Islam in Saudi Arabien? Dort ist das die einzige erlaubte Religion, da kann
man keine Hetze gegen eine religiöse Minderheit tätigen! Und konkrete
Menschen dürfen von einer Kritik nicht betroffen sein. Mit jeder kritik
trifft man konkrete Menschen! Machen wir darum ein allgemeines Kritikverbot?
Mediendienst:
Viele ziehen sich auf den Standpunkt zurück, sie übten bloße
"Islamkritik". Wie begegnet man dem Argument?
Elisabeth
Wehling: Ja, das ist sehr beliebt. Aber man kann den Islam gar
nicht kritisieren.
Mediendienst: Kann man nicht?
Elisabeth
Wehling: Kritik kann man an einem Sachverhalt üben. Ich sehe
den so, andere sehen den anders. Man kann kritisieren, dass es Menschen gibt,
die an Religionen glauben. Oder bestimmte Aspekte einer Religion. Aber eine
Religion an sich kann man nicht kritisieren. Was soll denn das Äquivalent
sein? Judentumskritik, Buddhismuskritik? Ich würde deshalb auch nicht von
Islamkritik sprechen.
Atheistische Anmerkung: Christentumskritik
gibt's auch! Oder gibt's das dann auch nicht? Wieso kann man Religion an sich
nicht kritisieren? Was macht ein Atheist, der alle Religionen kritisiert, weil
es ja gar keine Götter gibt? Geht das nicht? Das geht! Warum sollte es
nicht gehen??
Mediendienst: Trotzdem hat sich
das Wort "Islamkritik" eingebürgert, es steht sogar im Duden.
Was bedeutet das?
Elisabeth Wehling: Dass sich ein Wort
zunehmend durchsetzt. Das merken Sie auch daran, dass es plötzlich in ganz
vielen grammatikalischen Formen auftritt. "Islamkritisch" als Adjektiv
zum Beispiel. Dann heißt es, jemand ist "islamkritisch" eingestellt,
und keiner fragt mehr: Was heißt denn das?
Atheistische Anmerkung:
Was versteht die Frau Wehling am Wort "islamkritisch" nicht? Kritik
am Islam ist "islamkritisch", so einfach ist das grammatikalisch.
Mediendienst:
Der Begriff "islamkritisch" wurde anfangs sogar für Pegida und
den radikal antimuslimischen Rechtspopulisten Geert Wilders verwendet. Ist das
symptomatisch?
Elisabeth Wehling: Ja, das ist eine Verharmlosung.
Das, was "Islamkritik" genannt wird, läuft meist darauf hinaus,
die Religion verantwortlich zu machen für alle Dinge, die in ihrem Namen
getan werden. Das spiegelt sich auch in Begriffen wie "islamistischer"
Terror wieder. Manche reden sogar von "islamischem Terror". Damit
etabliert man eine Interpretation der gesamten Religion, die sie per se in die
Nähe von Gewalt rückt. Das halte ich für problematisch.
Atheistische
Anmerkung: Aha, die Religion ist für alle Dinge, die in ihrem Namen
getan werden, nicht verantwortlich! Aber muss das dann nicht bei allen Ideologien
und Lebenssichten so sein? Darf man dann z.B. den Antisemitismus nicht dafür
kritisieren, das der Antisemitismus zum Holocaust geführt hat? Und Jihadisten
gibt's keine? Und wenn ein Terrorist bei seinem Anschlag Allahu akbar - Gott
ist groß ruft, dann hat das nichts mit dem Islam zu tun. Aber man darf
verlangen, alle zu massakrieren, die den Islam beleidigen:
Mediendienst:
Je mehr man sich über Provokationen von Rechtspopulisten empört, desto
mehr verschafft man ihnen Aufmerksamkeit. Manchmal kann man sich aber auch schlecht
nicht empören. Wie kommt man aus diesem Dilemma raus?
Elisabeth
Wehling: Das stimmt, es ist ein Dilemma. Sie können sich aber
faktisch empören, ohne sich in die Frames ihrer Gegner einzukaufen. Nehmen
Sie den Begriff "Fake News". Trump hat den Begriff erfunden und in
die Debatte eingeführt. Und viele Medien verteidigen sich, indem sie sagen:
Wir sind keine "Fake News". Sie sind aber nicht gezwungen, solche
Begriffe aufzugreifen. Sie können darüber sprechen, dass der US-amerikanische
Präsident ein Problem mit offener und transparenter Berichterstattung hat.
Sie müssen Debatten nicht aus dem Weg gehen. Aber sie müssen zusehen,
dass sie ihre eigenen Deutungsmuster sprachlich umsetzen. Ein weiteres Beispiel:
Wenn die AfD von einer "Flüchtlingswelle" oder gar von "Invasoren"
spricht, dann sollte man sagen, "Ich finde, das sind Menschen auf der Flucht,
die sollten bei uns erst einmal ein Obdach bekommen". Alles andere hieße,
die eigenen moralischen Prämissen und die eigenen Handlungsvorschläge
im Dunkeln zu lassen.
Atheistische Anmerkung: Das war in Österreich
sehr schön wahrnehmbar, je mehr die Gutmenschen auf die FPÖ geschimpft
haben, desto mehr Wähler erhielt diese Partei. Das ging erst zurück
als Kurz die ÖVP übernahm und sich als Erfüller des Hauptwunsches
der Bevölkerung präsentierte, nämlich der Beendigung der Willkommenskultur.
Frau Wehling weiß ganz genau, wie man die ÖVP&FPÖ-Regierung
unterstützt, ihr Slogan "Ich finde, das sind Menschen auf der Flucht,
die sollten bei uns erst einmal ein Obdach bekommen" ist genau das, was
die Leute nicht hören wollen! Und darum haben die ÖVP und FPÖ
bei den Umfragen immer eine solide Mehrheit
Mediendienst: Selbst
Leitmedien fällt es manchmal schwer, sich bestimmten Frames zu entziehen.
Was können Journalisten tun?
Elisabeth Wehling: Als
Einzelkämpfer hat man mit seiner Kommunikation und seiner Sprache immer
einen begrenzten Radius. Diesen Radius kann man so gut wie möglich nutzen
und sich in seiner Sprache möglichst ehrlich und transparent machen, indem
man zeigt, wofür man steht. Denn Sprache spiegelt immer den eigenen Standpunkt
wider. Als Gruppe hat man natürlich mehr Gewicht, wenn man sagt: "Wir
sprechen jetzt so, wie wir es meinen. Und wir sprechen nicht mit den Schlagworten,
die uns hingeworfen werden".
Atheistische Anmerkung: Und
wer den Islam kritisiert, seinen Inhalt, seine Werte, seine praktische Anwendung,
wird dabei nicht so gesprochen, wie es gemeint ist? Oder ist jedwede nichtpositive
Meinung zum Islam eine minderheitenfeindliche Hetze? Wovon redet die Frau
Wehling eigentlich die ganze Zeit?