Von Anfang an wurde uns der Krieg in Syrien als
demokratisches Aufbegehren gegen Präsident Assad verkauft. Neue
Dokumente des militärischen Strategieplanungsstabes der USA zeigen aber,
dass es nie um Demokratie ging. Das eigentliche Ziel war der Iran.
Der in London lebende investigative Journalist Dr. Nafeez Ahmed
hat ein enorm wichtiges Dokument aus dem riesigen WikiLeaks-Fundus
ausgegraben. Ein Strategiepapier des United States Marine Corps (USMC)
Intelligence Department, dem Militärnachrichtendienst des Marine Corps
und Teil des übergeordneten Militärgeheimdienstes DIA, hat nur wenige
Monate nach Ausbruch der Proteste in Syrien eine Einschätzung der Lage
abgegeben. Darin heißt es, dass Assads Regierung "in den nächsten drei
Jahren signifikant geschwächt wird, aber der drohende Zusammenbruch
erscheint unwahrscheinlich".
Der
Grund für diese Einschätzung lag darin, dass die "zersplitterten
Oppositionskräfte in Syrien (vermutlich) die logistische Hürde nicht
überwinden können, die sie davon abhält, eine Einheit zu werden und so
innerhalb dieses Zeitrahmens eine ernstzunehmende Bedrohung für das
Regime darzustellen". Zwar wäre ein Regimewechsel durchaus
erstrebenswert, aber in der Praxis kaum umsetzbar. Ein solcher Versuch
würde nur zu "einem gewalttätigen, langwierigen zivilen Konflikt führen,
der sektiererische Unruhen entzünden würde". Zwar könne man "das
Potenzial für einen Zusammenbruch des Regimes nicht ausschließen, aber
der Weg zum Regimewechsel wird ein langer und blutiger sein".
Um
Assad aber trotzdem irgendwie vom Thron zu stoßen, sah das Dokument vor,
so großen Druck auf die herrschende Minderheit der Alawiten aufzubauen,
dass sie selbst den Sturz des Präsidenten initiieren. Und der Druck auf
die Alawiten sollte in Form von "Ausbildung von Oppositionskräften"
entstehen, die von Sondereinheiten der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Jordaniens und der Türkei
ausgebildet werden sollen. Damit sollte die im Westen als demokratische
Phalanx beschriebene Opposition nach den Plänen der USA nichts weiter
als ein Mittel zum Zweck werden und ganz sicher keine ernstzunehmende
oder gar demokratische Alternative für Assad.
Das übergeordnete,
geostrategische Ziel dieses ganzen Plans hatte sehr wenig mit Syrien
selbst zu tun. Denn was aus den Dokumenten ganz klar hervorgeht, ist die
Sorge der US-Amerikaner, ihren Einfluss auf die Länder des Nahen Ostens
zu verlieren, sobald sie ihre Truppen aus dem Irak abziehen. Dieses
Machtvakuum werde sofort vom Iran ausgefüllt werden, um den eigenen
Einflussbereich bis zum Mittelmeer auszudehnen und die eigene Grenze zum
Irak abzusichern, sodass es keine Angriffe durch eine Art neuen Saddam
Hussein geben könne. Aber um diese iranische Einflussnahme zu
verhindern, nahmen die US-Strategen in Kauf, dass die syrische
Opposition von radikalen Islamisten und Extremisten unterwandert und am
Ende marginalisiert wird.
"Die Türkei, die
Vereinigten Staaten, Saudi-Arabien, Ägypten und andere haben ein
gemeinsames Interesse daran, zu versuchen, die Position des Iran in der
Levante gravierend zu schwächen und den politischen und militärischen
Einfluss der Hisbollah im Libanon zurückzudrängen. Insbesondere die
Türkei ist das Land mit dem langfristig größten Einfluss auf Syrien, und
sie hat ein Interesse daran, dass dieses Territorium wieder unter
sunnitische Herrschaft kommt."
Das Perfide daran ist,
dass den Planern in Washington zu diesem Zeitpunkt bereits bewusst war,
dass der Türkei die eigentlichen Mittel für den "langfristig größten
Einfluss" fehlen. Um dieses Problem zu lösen, würde die Türkei
"allmählich versuchen. Verbindungen zu Gruppen innerhalb Syriens
aufzubauen, mit Fokus insbesondere auf die Überreste der islamistischen
Muslimbruderschaft, um eine funktionsfähige islamistische Politmacht
aufzustellen, die unter dem Schirm von Ankara steht".
Die
Türkei sollte sich also für die USA die Hände schmutzig machen, während
das Marine Corps, eine Teilstreitkraft der gesamten US-Streitkräfte mit
über 200.000 aktiven Soldaten, sich nicht in den Krieg in Syrien
einbringen wollte: "Wir erwarten nicht, dass das USMC
militärisch in Syrien oder im Libanon mit einer Mission intervenieren
wird, um die Situation zu stabilisieren. Die sektiererische Dynamik ist
viel zu komplex für die Vereinigten Staaten, als dass es sich lohnen
würde, darin verwickelt zu werden. Stattdessen wird das eine regionale
Krise sein, um die sich die Türkei kümmern wird. Während sich die Türkei
noch früh in ihrem regionalen Aufstieg befindet, wird sie beachtliche
Unterstützung und Hilfe ihrer Alliierten benötigen."
Und
der Lohn dafür würde die türkische Einflussnahme – oder sogar Besatzung
– von Gebieten in Syrien sein, die die moderne und willkürliche
Grenzziehung der Briten in der Region wieder zurückdränge. Zu diesem Schluss
kam auf jeden Fall Dr. Roby Barrett, der an der Joint Special
Operations University in Florida lehrt. Er sah eine Fragmentierung der
Länder wie Syrien, dem Irak und Saudi-Arabien entlang der ethnischen und
religiösen Linien voraus. Selbst als Russland 2015 in das Geschehen
eingriff, dachte Dr. Barrett, dass das im Höchstfall für die
Sicherstellung eines "Alawitestan" reichen würde.
Was bei den
US-Strategen aber offensichtlich völlig unterschätzt wurde, war die hohe
Unterstützung der syrischen Gesellschaft für Assad. Ohne diesen
Rückhalt in der Bevölkerung wäre der syrische Präsident trotz Hilfe von
außen nicht in der Lage gewesen, den im Westen geschmiedeten Plänen
sieben Jahre Widerstand zu leisten.