Niko Alm über die neue Kanzlerin

Im Newsletter 31 vom 4.6.2019 schrieb Niko Alm auf http://alm.add.at/bierlein das Folgende:

Haben wir nicht ausgemacht, dass vor den nächsten Wahlen keine gravierenden Gesetze mehr beschlossen werden sollen? Keine teuren Wahlkampfgeschenke auf Kosten lebender und noch nicht lebender Generationen, aber auch keine tiefgreifenden Änderungen in der Republik, die nur mehr schwer rückabgewickelt werden können?

Krethi, Plethi aber vor allem Journalisten, die vorher schon ungefragt und meist ohne inhaltliche Begründung ihre Favoriten für die Ministerlisten und das Amt der Bundeskanzlerin gepostet hatten, fühlen sich trotzdem jetzt genötigt extensive Wünsche an die neue Regierung zu richten. Sie soll die Parteienfinanzierung umbauen, die Zeit nützen, um ein neues ORF-Gesetz zu verabschieden, den Klimawandel stoppen, das Bildungssystem reformieren etc. pp.

So dringend der ORF endlich aus seiner infrastrukturellen Fossilierung befreit und modernisiert werden muss, so wenig ist dafür jetzt die Zeit. Es wäre ein gravierender Eingriff mit potenziellen Folgen in der demokratischen Meinungsbildung, die realpolitisch ohnehin an der jetzt deutlich hervortretenden Trennung zwischen und Exekutive und Legislative scheitern wird. Gesetze werden seidank immer noch im Parlament beschlossen. Aber ob der Nationalrat überhaupt die erforderliche Bereitschaft zum Storno geplanter Freizeitaktivitäten im Sommer aufbringen wird und sich unübliche Mehrheiten beispielsweise in der Frage der Parteienfinanzierung synthetisieren lassen, werden wir sehen.

So lange wie nötig, so kurz wie möglich

Jämmerlich hingegen ist das nunmehr offenbarte Demokratieverständnis der Leitartikler und Endzeitungskommentierer. Die in Brigitte Bierlein und ihre Minister projizierte Erwartungshaltung und Übermittelung von legalistischen Wunschlisten zeigt sehr schön die Schwächen und mangelnde Eleganz der Verfassungsbestimmungen, die als Notfallmaßnahmen zur Überbrückung zu den nächsten demokratischen Wahlen gedacht sind. Eine Bundeskanzlerin geht im Regelfall aus ebendiesen hervor und wird nicht von einem Bundespräsidenten bestimmt. Die so gebildete Regierung ist keineswegs als Aufräumtrupp zu begreifen, schon gar nicht als Dauerlösung.

Dividende für Reaktionäre

Der Bundespräsident hätte naturgemäß die Chance gehabt, eine weltoffene Person an die Spitze der Regierung zu setzen. Für ihre kurze Amtszeit hat er sich aber – nachvollziehbar – für eine reaktionäre Verwalterin und gegen Symbolik entschieden. Es gibt zwar kein Lob von der falschen Seite, aber manchmal ist es auch einfach Ausdruck eines ungesund wirkenden Naheverhältnisses. Wenn Waltraud Klasnic meint, Bierlein sei "ein Gewinn für Österreich", dann fragt man sich naturgemäß, in welcher Tombola man denn mitgespielt hat.
Immerhin hat die Althöchstrichterin durch ihre Mitarbeit in der sogenannten "unabhängigen Opferschutzkommission" vulgo Klasnic-Kommission mitgewirkt, die als PR-Vehikel von der österreichischen römisch-katholischen Kirche eingerichtet wurde und neben angemessenen Entschädigungen für die Opfer kirchlicher Gewalt vor allem die saubere Aufklärung klerikaler Gewaltverbrechen und deren systematischer Begünstigung verhinderte.

Wer Bierlein und ihre Experten tatsächlich weiter im Amt sehen will, wird sie bei der nächsten Wahl auch wählen müssen. Dafür müsste die Neubundeskanzlerin aber von einer Partei auf einen wählbaren Listenplatz gestellt werden. Aber wer kommt schon auf die Idee, mit einer dann schon pensionierten Richterin anzutreten, deren Funktion naturgemäß nicht in der Ausgestaltung von Gesetzen liegt, sondern in deren Anwendung und Auslegung? Das Parlament braucht ja in erster Linie gestalterische Kraft. Die gesetzestreue und ordentliche Verwaltung des Status quo durch eine Expertenregierung bewahrt vor größerem Schaden, kann aber keine Empfehlung für die Zukunft sein.