Oskar Lafontaine traut dem neuen Spitzenduo der SPD eine Rückkehr zu den sozialdemokratischen Wurzeln und eine Trendwende bei den Umfragen zu - allerdings nur ohne die Union.
Ein Interview von Kevin Hagen und Christian Teevs
SPIEGEL:
Herr Lafontaine, die SPD rückt augenscheinlich nach links. Haben Sie 20
Jahre nach Ihrem Rückzug von der Parteispitze Ihr Ziel erreicht?
Oskar
Lafontaine: Mein Ziel war es, das Abdriften der SPD in die neoliberale
Pampa und ihren Absturz zu verhindern. Entscheidend ist jetzt, dass die
SPD endlich die Konsequenzen daraus zieht, dass sie in den Umfragen nur
noch bei 14 Prozent liegt. Sie muss jetzt mit dem Neoliberalismus
brechen.
SPIEGEL: Was heißt das denn konkret? Was muss die neue Spitze aus Ihrer Sicht anders machen?
Lafontaine:
Die Sozialdemokraten müssen den Sozialstaat wieder aufbauen, zur
Friedenspolitik Willy Brandts zurückkehren und sich von der schwarzen
Null verabschieden. Wegen letzterer hat Deutschland die Infrastruktur -
Schulen, Krankenhäuser, Straßen und schnelle Netze - verrotten lassen.
SPIEGEL: Muss die SPD jetzt raus aus der Großen Koalition?
Lafontaine:
Es geht nicht um die Große Koalition an sich. Aber die CDU will in den
kommenden Jahren 35 Milliarden Euro mehr für das Militär ausgeben,
Spitzenverdiener um weitere zehn Milliarden entlasten, die
Unternehmenssteuern erneut senken und Annegret Kramp-Karrenbauer kündigt
wieder Sozialabbau an, weil das soziale Sicherungssystem ihrer Ansicht
nach "an die Grenzen des Machbaren und des Möglichen stößt". Wenn die
SPD mit dieser Union noch länger zusammenarbeitet, wird sich ihr
Niedergang fortsetzen.
SPIEGEL: Das Ergebnis ist knapp. Droht der SPD eine erneute Spaltung, diesmal von rechts?
Lafontaine:
In der SPD gab es schon immer einen rechten und einen linken Flügel.
Beide Seiten haben erklärt, dass sie zusammenarbeiten wollen. Das ist
die einzige Möglichkeit, die Partei aus der Krise zu führen.
SPIEGEL: Wenn sich die SPD so verändert, wie Sie
es sich wünschen, wozu braucht es dann noch die Linkspartei? Wäre es
nicht am besten, wenn beide Parteien fusionierten?
Lafontaine: Das halte ich für wünschenswert. Leider gibt es in beiden Parteien dafür nicht die Voraussetzungen.
SPIEGEL: Warum nicht?
Lafontaine: Es fehlt an einem gemeinsamen Programm und am Willen der führenden Politiker, eine Vereinigung zu organisieren.
SPIEGEL: Haben Sie persönlich eine Rückkehr zur SPD für sich vollends ausgeschlossen?
Lafontaine: Wenn die beiden Parteien wieder zusammenfinden, hat sich diese Frage erledigt.
SPIEGEL: Aber klar ist doch: Ihr Abgang hat den
linken Flügel in der SPD geschwächt. Haben Sie Ihre Entscheidung von
damals je bereut?
Lafontaine: Natürlich habe ich mich
immer wieder gefragt, ob die Entscheidung richtig war. Aber jetzt muss
man in die Zukunft blicken, das gilt auch für die SPD. Es geht heute um
neue Themen. Nach der Enteignung der Arbeitnehmer durch zu niedrige
Löhne und Renten und durch Sozialabbau erleben wir heute zusätzlich die
Enteignung des Privatlebens durch die großen US-Internetkonzerne.
Dadurch werden die Menschen manipuliert. Eigenständiges Denken wird
erschwert und die Demokratie ausgehöhlt.
SPIEGEL: Altkanzler und Ex-SPD-Chef Gerhard Schröder ist auf Distanz zum neuen Führungsduo gegangen. Wie beurteilen Sie das?
Lafontaine:
Es ist klar, dass Gerhard Schröder die Wahl von Esken und
Walter-Borjans ablehnt. Er steht für den Bruch der SPD mit der
sozialdemokratischen Politik und für ihre Öffnung zum Neoliberalismus.
Das Resultat sind Wahlniederlagen und der Absturz von 40,9 auf 14
Prozent.