Frischer Muff an den Unis

Wilfried Müller am 6.2.2020

Anlass für diesen Artikel ist ein Streit an der Uni Kiel, der wunderbar zu einem alten Aktivisten-Spruch passt: "Muff von 1000 Jahren unter den Talaren". Damit begehrte die 1968er-Generation (nicht nur) gegen die altertümliche Gewandung der Professoren auf. In der Folge wurde der Muff mitsamt der Talare abgeschafft.

Nun schlägt das Pendel in die andere Richtung aus.

Frischer Muff sickert in die Uni ein. Zunächt in Person einer Studentin, die mit einem Niqab zur Vorlesung erschien (das ist eine Art Talar mit Kopftuch, das nur einen schmalen Schlitz für die Augen freilässt). Die Uni wollte derlei Gewandung verbieten, aber die Studentin kam trotzdem weiterhin verschleiert zu Veranstaltungen. (Zumindest geht die Uni davon aus, dass es besagte Studentin war, de facto könnte ja sonstwer unter dem Muffgewand stecken. Immerhin wurde ein Kompromiss erzielt: Vor Prüfungen sollte der Schleier kurz gelüftet werden.) Daraufhin wurde der Fall politisch, und die Landesregierung diskutierte über ein Verbot der Vollverschleierung an den Unis. Man muss ja damit rechnen, dass noch weitere Student*innen auf die Idee mit der Verschleierung verfallen.

Nachdem die Uni bei der Landesregierung um das Gesetz zum Verbot der Vollverschleierung in Lehrveranstaltungen eingekommen war, klärten sich die Fronten. Die Regierungsparteien CDU und FDP stellten sich auf den Standpunkt, an einer Hochschule sei offene Kommunikation unabdingbar; der Anllass für ein Verbot sei mithin gegeben. Die dritte Regierungspartei aber mauerte - die Grünen. Das Verbot sei mit der Religionsfreiheit nicht zu vereinbaren.

Eine größerere Diskussion wurde vom Zaun gebrochen, bei der viele interessierte Verbände Stellung bezogen. Der Zentralrat der Muslime warnte davor, Frauen würden durch ein Verbot isoliert werden. Eine Professorin sprang mit der Ansicht bei, Gesicht und Mimik seien für die Kommunikation in einer Hochschule nicht zwingend erforderlich. (Ergänzung des Autors: Verstand offenbar auch nicht.)

Die Mehrheit sah in der Vollverschleierung allerdings ein Integrations-Hindernis. Terre des Femmes sagte, für Frauen mit Burka oder Nikab sei ein freies, gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Leben nicht möglich, egal ob der Zwang zur Verhüllung von innen oder außen komme. Andere Stimmen erklärten die Vollverschleierung zum Ausdruck von Sexismus und Geschlechtertrennung; die Verschleierten könnten viele Grundrechte nicht wahrnehmen. Der Landesverband Frauenberatung sprach vom Nikab als besonders schwerwiegender Form der Frauen-Diskriminierung, der gemäß praktischer Erfahrung häufig mit mit sexueller und körperlicher Gewalt gegen die Frauen einhergehe, sowie mit Zwangsverheiratung. Für den Verein Migration gelten Nikab und Burka in den meisten Fällen als Instrument der Unterdrückung. Allgemein würde Frauen mit der Verschleierung das menschliche Äußere und die Würde genommen. Die Vollverschleierung sei eine extreme Haltung, die zu einem Ort der Aufklärung - sprich einer Uni - wirklich nicht passe.

Die SPD hielt sich lieber aus der Debatte heraus und lehnte eine Positionierung ab.

Die Grünen standen mit ihrer Verteidigung der Vollverschleierung ziemlich allein da. Interessant war, dass sie in Flensburg auf städtischen Flächen (wo sie sich einmischen konnten) Werbeplakate mit sich entblößenden Frauen verboten - der grüne Muff hat System.

Die Grenzen

Es geht nun nicht darum, ob der beinahblinde Look ein adäquates Bild der Religion abgibt. Sondern es geht um Freiheitsmissbrauch oder nicht? Wie weit geht die Religionsfreiheit, wo fängt die Freiheit der Wissenschaft an? Soll man der Religion an den Unis überhaupt nachgeben?

Denn wo ist die Grenze? Wird der Religion (oder vermeintlichen religiösen Zwängen) nur die Kleidung unterworfen, oder geht es noch weiter? Die Uni ist schließlich der Ort, wo lauter Sachen gelehrt werden, die dem göttlichen Hokuspokus widersprechen. Allah mag den Urknall nicht, und auch sonst ist er spinnefeind mit allem, was nach Wissenschaft riecht. Soll das dann als Häresie verboten werden? Oder soll religiöser Tunnelblick eingeführt werden mit Niqabs für die Frauen und Scheuklappen für die Männer? Oder muss zuerst gebetet werden, ehe die Vorlesung losgeht? Wie weit soll die Freiheit der Wissenschaft beeinträchtigt werden?

Dass das eine schwierige Frage ist, weiß jeder, der mit Religiösen diskutiert. Nur eine Minderzahl der Religiösen wahrt die Logik auch bei den Kernfragen. Mit den anderen kann das Gespräch sehr vernünftig verlaufen, aber an irgendeinem unvorhersehbaren Punkt ist es plötzlich vorbei. Dann übernehmen unbewusst oder uneingestandenermaßen die Bauchgefühle, und aus ist's mit Logik und Verstand des Religiösen. Beim radikalen Islam passiert das besonders fix, weil praktisch jeder Satz als Provokation gesehen wird.

Das ist nun nicht der Zustand, der für die Unis erstrebenswert sein kann. Da wünscht man sich, dass die Wissenschaft unangefochten alles hinterfragen darf, egal, ob es der Religion passt oder nicht, und dass das Regime des Verstandes ungebrochen gelten soll. Nach dieser Argumentation darf man der Religion keinerlei Einflussnahme gewähren, und schon gar nicht den gewandgewordenen Tunnelblick, die spektakuläre Selbstverhüllung im Muffmäntelchen.

Die Macht dahinter

Vordergründig gesehen hat der radikale Islam mit der grünen Muff-Partei einen mächtigen Mitstreiter bekommen. Bei näherer Betrachtung muss man diese Aussage sowohl einschränken als auch erweitern.

Einmal ist klar, dass nicht alle Grünen auf der Muff-Schiene laufen. Es gibt da auch emanzipative Bestrebungen, die den Studentinnen keine Vollverschleierung gewähren wollen. Andererseits gibt es z.B. in der Linken und in der SPD einen Haufen rot Gefärbte, bei denen die Toleranz gegenüber Multikulti keine Grenzen kennt, egal was dabei rauskommt (mit ihrer Toleranz gegenüber Normalos ist es eine ganz andere Sache). Bezeichnend ist, dass die SPD kein Statement abgeben konnte. Da dürften sich die Ideologen und die Pragmatiker gegenseitig blockieren.

Eine weitere Einschränkung: Eingefleischte muslimische Fundis gehen nicht an die Uni. Da müssten sie ja lernen, dass Allah nicht recht hat. Es läuft darauf hinaus, dass sich dort weniger der Islam entfaltet, sondern eher die rotgrüne Ideologie von antiautoritärer Wurstigkeit und Multikulti-Päppelung.

So war es ja schon bei der Gender-Pseudowissenschaft, und noch weiter in der Vergangenheit bei der marxistischen Ideologie, die sich als Wissenschaft gerierte. Schlimm ist, dass der Trend verkehrtrum läuft. Anstatt die religiöse Einflussnahme endlich aus den Unis rauszuputzen, gibt es immer mehr davon. Zu den theologischen Lehrstühlen der Christen kommen muslimische und jüdische dazu. Nun werden an unseren wissenschaftlichen Hochschulen nicht nur Priester, sondern auch Imame und Rabbis ausgebildet.

Dabei ist Theologie das Gegenteil von Wissenschaft. Die Theologen sehen sich im Besitz einer Wahrheit, die sie gegen Hinterfragung verteidigen. Damit verraten sie das Grundprinzip der Wissenschaft, alles zu hinterfragen und ihre Theorien nötigenfalls anzupassen. Man kann sich vorstellen, was bei einer entsprechenden Anpassung von den Göttern übrigbleiben würde ...

Weil die rotgrüne Politik die Unis mit so viel ideologischem und religiösem Ballast befrachtet hat, ist der frische Muff unter den Talaren/ Niqabs/ Burkas bedenklich. Da geht es nicht um eine lässliche Sünde gegen die Wissenschaft. Der muffige Mummenschanz ist eine symbolische Herausforderung. Es wird sich weisen, wie damit umgegangen wird. Hoffentlich ist das nicht der Einstieg in 1000 Jahre frischen Muff unter doofen Wallegewändern.