Gibt es etwas Schöneres auf der Welt als das glucksende Lachen eines
fröhlichen gesunden Kindes? Gibt es etwas Befriedigenderes im Leben als
zuzuschauen wie sich dieses Produkt der Liebe unter tätiger Hilfe der Eltern
zu einem freien selbständigen und selbstbewussten Wesen entwickelt? Die
meisten Frauen und zunehmend wohl auch Männer werden dem ohne jede Einschränkung
zustimmen. Nur Narren können auf die abwegige Idee verfallen, ein solches
Glück einschränken zu wollen oder es gar zu verbieten. Jeder, der
nur einen Rest von Herz und Verstand im Körper hat, wird unvoreingenommen
vermuten, dass es solche Narren gar nicht geben könne. Und doch, sie leben
unter uns, drängen sich ungefragt in die Öffentlichkeit und wollen
jungen Familien unter Berufung auf religiöse Grundsätze dieses Glück
verbieten.
In
der Fruchtbarkeitsklinik in Tunis
Die langen Stuhlreihen im
Wartesaal der Klinik „Les Jasmins“ in Tunis sind bereits um 7.30 Uhr bis auf
den letzten Platz mit jungen Frauen besetzt. Die zugehörigen Männer
lehnen sich an die Wände oder rauchen draußen auf der Terrasse nervös
eine Zigarette. Ich komme mit den Männern ins Gespräch, das endlose
Warten öffnet die Münder, vor allem auch deshalb, weil alle dieselben
Gedanken hegen: „Wird es denn diesmal klappen? Wir hatten doch schon so viele
Versuche.“ Viele bemühen sich seit Jahren, damit sich endlich der gewünschte
Nachwuchs einstellt. Wir sind in der wohl renommiertesten Fruchtbarkeitsklinik
des gesamten Maghreb. Neben Tunesiern finden sich Algerier, Libyer und auch
einige Europäer, die zumeist wegen der noch einigermaßen erschwinglichen
Kosten „Fruchtbarkeitsurlaub“ in Tunesien machen. „In Kopenhagen hat es fast
fünfmal so viel gekostet“, erzählt mir einer, „und die Erfolgschancen
sind wohl überall gleich groß oder gering.“ Die Spezialisten hier
haben alle eine europäische oder amerikanische gynäkologische Ausbildung
genossen. Sie stehen den okzidentalen Kollegen in nichts nach. Die Wände
ihrer Arbeitszimmer sind zugepflastert mit den Bildern „ihrer“ Kinder, dem Nachweis,
dass es irgendwann doch funktioniert, wenn keine komplette Unfruchtbarkeit vorliegt.
Die
Probleme der einzelnen sind verschieden, doch unter dem Strich steht immer dasselbe
Resultat. Es klappt nicht ohne fremde Hilfe. Aber für (fast) jeden gibt
es eine individuelle Lösung. Alle beherrschen die Fachtermini, seien es
nun Ovulationszyklus, Spermazytogramm, Insemination in corpore oder In-Vitro-Fertilisation.
Bei manchen genügt es, den richtigen Zeitpunkt für die Zeugung zu
erwischen („Montag morgen sechs Uhr“), oder eine günstigere Stellung einzunehmen
(„Macht es bitte a tergo“). Doch die meisten Fälle sind delikater. Nicht
gerade selten liegt es an der Spermiendichte im Ejakulat der Männer, weshalb
sich alle einem Spermientest unterziehen müssen. Das „Masturbationszimmer“,
ein kleiner verspiegelter Raum mit einer grünen Ledercouch wird von jedem
hier herzhaft gehasst. Vor lauter Verlegenheit greifen manche sogar zu Äußerungen,
die sie andernorts niemals machen würden. So erzählt ein Tunesier
in die Runde, sein „zizi“ (das grobe arabische Pendant vermied er) sei wohl
etwas klein geraten, so dass das Sperma nie dahin hätte gelangen können,
wo es denn nun einmal hinmuss. Niemand grinst oder lacht. Bei vielen Frauen
stimmt die Produktion der ovulae nicht. Da helfen nur Spritzen und Hormone.
Die Gefahr von Mehrlingsgeburten ist bekannt, sie beunruhigt niemanden wirklich.
Besser zwei in einem Aufwasch als noch einmal diese Tortur zwischen Hoffen und
Bangen.
Religiöse
Fanatiker sind nicht an der Wirklichkeit interessiert
Wenn alles
nicht mehr weiterhilft bleibt als letzter Ausweg nur die In-Vitro-Fertilisation,
eine wahre Tortur für die Frau. Die Eiproduktion wird für einen gewissen
Zeitraum mit chemischen Hilfsmitteln so stark angeregt, dass der Arzt am Ende
der Behandlung etwa bis zu einem Dutzend Eier entnehmen kann, eine unangenehme
Prozedur, die eine Woche der Schmerzen, der Übelkeit und des Kopfwehs abschließt.
Dann wird in der Petrischale der virile Anteil des männlichen Samenergusses
dazugegeben in der Hoffnung, dass möglichst viele Samen- und Eizellen zueinander
finden. Doch dann kommt der entscheidende Augenblick. Welche der befruchteten
Eizellen hat es verdient, in die Gebärmutter eingesetzt zu werden? Ein
kleiner aber teurer Test gibt Auskunft über manche genetischen Probleme
– bei weitem nicht alle wie vielfach vermutet wird. Er dient als Entscheidungshilfe.
Denn eine Entscheidung muss nun notwendigerweise getroffen werden. Und wenn
man schon wählen muss, nimmt man natürlich die besten, die mit den
höchsten Erfolgschancen.
Pränatale Diagnostik wird seit Jahrzehnten
mit zunehmendem Erfolg praktiziert. Mittels einer Fruchtwasseruntersuchung oder
anderen Methoden lassen sich schwere Schäden wie Down-Syndrom (früher
Mongolismus genannt) oder Mukoviszidose (eine Verschleimung der Lungen), die
ein späteres Leben für alle Beteiligten zur Qual machen können,
erkennen. Auch in diesen Fällen muss eine Entscheidung getroffen werden,
aber eine, die für die Frau ungleich schwieriger ist: Austragen oder Abtreiben.
Die Antwort der fundamentalistischen, selbsternannten „Lebensschützer“
in den Kirchen ist eindeutig: Jeder hat ein Recht auf Behinderung, basta. Da
gibt es keine Diskussion. Ob das spätere Kind überlebt, ob die Familie
das überlebt, oder ob sie unter der Belastung zusammenbricht – all das
interessiert die Fanatiker nicht. Und dabei haben sie sogar immer noch die derzeitige
Gesetzeslage auf ihrer Seite. Was viele nicht wissen: Abtreibung ist nach wie
vor im Prinzip strafbewehrt. Sie wird nur unter bestimmten, sehr eingeschränkten
Bedingungen nicht strafverfolgt. Der Kampf in den siebziger Jahren für
die Abschaffung des §218 des Strafgesetzbuchs war kein durchschlagender
Erfolg. Denn die Frage, wo menschliches Leben beginnt, ist auch mit naturalistischem
Blick auf die Wirklichkeit nicht einfach zu beantworten.
PID
– Präimplantationsdiagnostik
Und nun das Urteil des Bundesgerichtshofs
vom 6. Juli 2010. Ein Grundsatzurteil, in dem die Bundesrichter Gentests an
Embryonen für zulässig erklärten. Es interpretiert das herrschende,
restriktive Embryonenschutzgesetz im Fall der PID freier, als es den religiösen
Fanatikern lieb ist. Es akzeptiert, dass der Sinn der PID darin liegt, gesundes
Werden von Leben zu ermöglichen. Dass dabei nicht alle befruchteten Eizellen
Berücksichtigung finden können, müsse als Nebeneffekt in Kauf
genommen werden. Der Schwerpunkt liegt also darauf, Leben zu ermöglichen,
das andernfalls niemals entstehen würde. Ergänzend sollte nicht vergessen
werden, dass auch die Natur selbst in großem Umfang befruchtete Eizellen
entsorgt, wenn irgendetwas mit der Entwicklung nicht richtig läuft. Wer
zählt die Zahl der Fehlgeburten? Erst wenn man sich einmal in der Nachbarschaft
oder Bekanntschaft gezielt umhört, erfährt man, dass die Mutter mit
den zwei prächtigen Kindern, davor und zwischendrin bereits mehrere Fehlgeburten
hatte. Niemand berichtet ohne Anlass davon, da muss man wirklich nachfragen.
Also
stehen sie wieder auf dem Podium und krakeelen, wenn es darum geht, eine übrigens
gar nicht mehr so neue Technik, die PID, in Grund und Boden zu verdammen. Einer
der ersten, die sich zu Wort meldeten, war Hubert
Hüppe
(CDU), seines Zeichens Behindertenbeauftragter der Bundesregierung: „Die
Präimplantationsdiagnostik muss jetzt ausdrücklich verboten werden“.
Die Deutsche
Bischofskonferenz
stieß in dasselbe Horn: „Die Tötung von Embryonen, die nach einer
Untersuchung auf genetische Schäden nicht mehr in die Gebärmutter
eingesetzt werden sollen, kann nicht erlaubt sein“. Der Bundesverband für
Lebensrecht (BVL), eine fundamentalistisch christliche Organisation sieht einen
„schlimmen Tag für die Unantastbarkeit der Würde des Menschen“. In
Zukunft werde es wohl nur noch „PID-geprüfte Kinder“ geben und „die Aussortierten“
werden getötet. Er sieht gar eine Diskriminierung der Behinderten, „eine
schallende Ohrfeige“. Auch die Evangelischen
stimmen in den Chor ein.
Die klerikale Meinungsmaschinerie scheute
sich schließlich auch nicht, mit Darstellungen von menschlichen Schicksalen
Stimmung zu machen: "Ärzte
wollten Bocelli abtreiben"
oder "Abtreibung
überlebt – Tim feiert 13. Geburtstag".
Schonungsloser Populismus in den Grenzbereichen ethischer Problemstellungen,
in dem auch grenzwertige Rhetorik nur zu gern in die Hand genommen wird: “Der
Mensch darf nicht am Wegesrand liegen gelassen werden”, so der Münsteraner
Bischof Felix Genn zum Gerichtsurteil. Kein PID-Befürworter und kein Richter
hatten jemals dafür plädiert, Menschen am Wegesrand liegen zu lassen.
Es ist eine schauerliche Polemik, die ihresgleichen sucht.
Polemik
der Kirchen dient nur dem Selbsterhalt
Hintergrund dieser üblen
Meinungsmache ist die unzutreffende Behauptung, der Mensch entstünde im
Moment der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle – eine christliche Hypothese,
die einer Ideologie entspringt und wissenschaftlichen Tatsachen nicht
standhält. Medizinisch gesehen, was etwa die Herausbildung eines Nervensystems
anbelangt, ist die islamische Ansicht zu dieser Fragestellungnäher
an der Wahrheit als die vatikanische: erste Nervenzellen
des Gehirn bilden sich ab etwa der achten Schwangerschaftswoche, erst rund 130
Tage nach der Befruchtung der Eizelle entsteht ein zentrales Nervensystem. Etwa
die Hälfte aller befruchteten Eizellen geht nach etwa zwei bis drei Wochen
unbemerkt ein, bis zur zwölften Schwangerschaftswoche kommt es nicht selten
zu Frühaborten. Legt man deshalb, wie der Islam es tut den Beginn des menschlichen
Lebens auf den Zeitpunkt 40 Tage nach der Befruchtung fest, entfällt das
christlich-religiös aufgebauschte Scheinproblem. Gut für alle hoffenden
Paare, dass der ansonsten so menschenfeindliche Islam zumindest in diesem einen
Kasus realistischer mit den Dingen umgeht.
Nicht
etwa PID, sondern die Natur beendet zahllose Menschenleben vor der Geburt. Die
PID dagegen hilft Eltern Entscheidungen zu treffen, noch lange bevor der kleine
Zellklumpen aus Ei und Spermium eine Form menschlichen Lebens annimmt. Für
Denkansätze, die sich in ihrer Differenziertheit an der Komplexität
der wirklichen Welt anpassen, darf jedoch kein Platz in der Kirchenwelt
sein – einmal zugelassen, stünde das gesamte Ideengebäude der Theologen
vor dem Kollaps. So geht es für diese also nicht um verantwortungsbewusste
ethische Entscheidungen, die sich in ihren Überlegungen an der Realität
und schützenswerten Bedürfnissen von Menschen orientieren. Für
die Kirchen geht es um den Selbsterhalt und da ist offensichtlich jedes Mittel
recht.
PID
für jedermann?
In
einem Punkte sind sich alle Apologeten des Unsinns einig. Die PID gehört
so schnell wie möglich abgeschafft und verboten. Wissen diese Herren denn
überhaupt wovon sie reden? Unbestritten hat ein jeder das Recht, auch ein
erkennbar missgebildetes oder krankes Kind zur Welt zu bringen. Das liegt in
der Verantwortung der Eltern, oder besser: letztlich der Frau. Aus diesem Recht
wollen die meist klerikalen älteren Herren in ihren farbenfrohen Gewändern
aber nun einen Zwang konstruieren. Sind sie wirklich der Meinung, in Zukunft
würde jede Frau die Mühen einer In-Vitro-Fertilisation auf sich nehmen,
um damit in höchst begrenztem Umfang Einfluss auf das zukünftige Leben
zu nehmen? Sprechen diese Herren denn gelegentlich einmal mit den betroffenen
Frauen? Wohl eher nicht, denn sonst würden sie unisono hören, was
wir in „Les Jasmins“ von jeder einzelnen Frau gehört haben: „Ich würde
viel dafür geben, wenn es auf natürlichem Wege klappte. Leider steht
vor unserem Glück das Leid, das Bangen, die immer wieder zerstörte
Hoffnung.“ Eventuell vorhandene, mehr oder weniger deutlich artikulierte Wünsche
nach Geschlecht, Augenfarbe oder Intelligenz des zukünftigen Familienmitglieds
treten hinter dem grundsätzlichen Wunsch zum möglichst gesunden, nicht
erblich vorbelasteten Nachwuchs in den Hintergrund. Von einer “eugenischen
Rutschbahn” kann nicht im Mindesten die Rede sein.
Nichts
von dem, was von den Feinden der PID hineingeheimnist wird, kann PID wirklich
leisten. Nicht einmal ein Down-Syndrom-Test per PID liefert ein auch nur annähernd
verlässliches Ergebnis, da in diesem Stadium des Embryos durchaus überzählige
Chromosomen auftreten können, die erst später im Mutterleib abgestoßen
werden – oder aber im schlimmsten Fall verbleiben. Bei Verdacht auf Down Syndrom
bleibt weiterhin nur die pränatale Diagnostik – mit der anschließenden
Entscheidung für oder gegen Abtreibung. Man kann PID also ohnehin nur in
den wenigen Fällen einsetzen, in denen eine klare Diagnose vor Implantation
überhaupt möglich ist, also zum Beispiel bei der genetischen Veranlagung
auf Mukoviszidose. Ein massenhafter „Missbrauch“ der PID hin zum Designer-Baby,
mithin das an die Wand gemalte Schreckgespenst, kann mit Fug und Recht ausgeschlossen
werden. Aber mit Gespenstern haben Narren ja bekanntlich weitestgehende Erfahrungen.
Ein
ausgewiesener Experte der PID, der Lübecker Humangenetiker Professor Eberhard
Schwinger, erklärt in einem kenntnisreichen Artikel
im Spiegel (Nr. 28 vom 12. Juli 2010): „Nun endlich hat, 15 Jahre zu spät,
die Vernunft gesiegt“. An eindrucksvollen Beispielen aus seiner Praxis schildert
der 70-Jährige die Möglichkeiten, aber auch die natürlich gegebenen
Beschränkungen der Gen-Diagnostik und damit ihre Verwendbarkeit auf die
PID. Ein „Intelligent Design“ aus Menschenhand wird es also in absehbarer Zeit
nicht geben. PID kann zwar hoffenden Paaren helfen, das Menschenrecht auf gesunde
Nachkommen zu gewährleisten und Menschen vor absehbarem Leiden zu bewahren.
PID aber kann vor allem eines nicht: Menschen modellieren, die nicht ihrer Eltern
Kinder sind.
Und
die wenigsten würden so etwas überhaupt wollen und dafür sogar
Kosten und Schmerzen auf sich nehmen. Den meisten geht es ausschließlich
darum, endlich das glucksende Lachen eines fröhlichen, gesunden Kindes
zu hören. Ist dieser Wunsch derart verdammenswert ?
Siehe
hierzu auch die Meinung der ehemaligen deutschen Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger