Das Versagen der Bundesregierung im Umgang mit der Corona-Krise zeigt auch, dass die Überwindung des Kapitalismus wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden muss – und gleichzeitig die direkte Hilfe und das Zugehen auf die Menschen im Fokus der Kommunistinnen und Kommunisten stehen muss. Ein Gespräch mit Robert Krotzer.
Robert
Krotzer ist Grazer Stadtrat für Gesundheit und Pflege und Mitglied des
Landessekretariats der KPÖ Steiermark.
Beinahe ein Jahr plagt die Corona-Pandemie die Menschen in Österreich:
Wie sieht dieses Jahr im Zeitraffer aus und wie lässt es sich politisch
einordnen?
Ende Februar 2020 wurden die ersten Personen in Österreich
Covid-positiv getestet – in Tirol. Im österreichischen Westen spielt der
Ski-Tourismus eine ökonomisch dominante Rolle und eine solch dominante
Rolle spielen auch die Herrschaften der Tourismus-Industrie. Um die Profitinteressen
des Wintersport-Tourismus nicht zu gefährden, geschah erst einmal – nichts.
In den folgenden Wochen erlangten Ischgl & Co. traurige Berühmtheit
als Corona-Hotspots, von denen aus sich das Virus tausendfach durch Reiserückkehrer
über Österreich und ganz Europa verbreitete.
Mitte März musste
die Bundesregierung schließlich reagieren, nicht zuletzt aufgrund von
Reisewarnungen und diplomatischem Druck. In der Folge kam es im Frühjahr
zu einem mehrwöchigen Lockdown mit geschlossenen Geschäften, Schulen
und Lokalen. Weitgehend ungehindert lief jedoch die Arbeit in Produktionsbetrieben
oder am Bau fort. Dass auch in diesen Bereichen zahlreiche Unternehmen auf das
Modell der Kurzarbeit zurückgegriffen haben, liegt nicht zuletzt darin
begründet, dass der kapitalistische Wirtschaftszyklus schon vor Corona
deutlich ins Stocken kam und die Auftragsbücher vielfach leer waren. Gerne
griffen also auch große Konzerne einmal mehr nach den staatlichen Hilfen,
die aus Steuergeldern der Allgemeinheit finanziert werden.
Und die Bevölkerung?
Nichtsdestotrotz stand im Frühjahr 2020 ein überwiegender Teil
der Bevölkerung hinter den Maßnahmen, um die Gesundheit und das Leben
möglichst aller Menschen zu schützen und eine Überlastung der
Spitäler und Intensivbetten zu verhindern. In der Folge kam Österreich
vergleichsweise gut durch die erste Welle der Pandemie, nach einer deutlichen
Spitze an Erkrankungen im März.
Die türkis-grüne Bundesregierung versuchte jedoch von Beginn weg
das Bewusstsein und die Solidarität der Bevölkerung für ihre
eigenen parteipolitischen Zwecke und Inszenierungen auszunutzen. Am Beginn des
Sommers kam es schließlich zu einer weitgehenden Lockerung der Maßnahmen,
auch um den Tourismus anzukurbeln, und die Regierung vermittelte weithin den
Eindruck, als wäre die Pandemie vorbei. Über den Sommer hinweg gab
es keinerlei ernsthafte Vorbereitung auf eine prognostizierte zweite Welle im
Herbst/Winter: Es gab keine Konzepte zum Schutz älterer Menschen in Pflegeheimen,
es gab keine Aufstockung der Kapazitäten in Krankenhäusern und es
gab auch keine personelle Stärkung für das sogenannte "Contact
Tracing", also die Eindämmung und Unterbrechung von Infektionsketten.
Heißt das, die zweite Welle war durch Untätigkeit verschuldet?
Nicht zuletzt durch die mangelnde Vorbereitung stiegen die Infektionen im
Oktober und November 2020 dramatisch. Zeitweise verzeichnete Österreich
die höchsten Infektionszahlen weltweit! Über 7.500 Menschen sind in
Österreich der Pandemie zum Opfer gefallen, viele von ihnen verstarben
in Pflegeheimen, für die es in der Praxis bis in den Spätherbst kaum
Schutzkonzepte der Regierung gab. Die Heftigkeit der zweiten Welle machte schließlich
einen zweiten Lockdown nötig, der mit kleineren Unterschieden seit Anfang
November andauert und jedenfalls bis Februar fortgeführt wird.
Wie wirkt sich die Situation auf die Stimmung in der Bevölkerung aus?
Die Zustimmung zur Politik der Regierung ist mittlerweile drastisch zurückgegangen.
Das hat weit tiefere Ursachen als die allerorts konstatierte "Corona-Müdigkeit".
Es beginnt bei der offensichtlichen Ausnützung einer gesamtgesellschaftlichen
Krisen-Situation für parteipolitische Zwecke insbesondere durch Bundeskanzler
Kurz. Zwischen der Ankündigung von "Hunderttausend Toten" (Ende
März 2020), dem vermeintlichen "Licht am Ende des Tunnels" (Ende
August 2020) und dem seit November andauerndem Lockdown ist jeder Glaube an
eine ehrliche Kommunikation und einem professionellen Umgang mit der Krise verloren
gegangen. Verstärkt wurde das durch die offensichtlichen Pannen und schweren
Verfehlungen bei den "Massentests", geöffneten Ski-Pisten, beim
zwei Monate lang dauernden Versand von FFP2-Masken und schließlich beim
Impf-Management. Wie ein roter Faden zieht sich hier durch, dass Dinge groß
angekündigt wurden – und schließlich wenig gehalten wurde. Vor den
Scherben dieser Politik stehend, setzt die türkis-grüne Bundesregierung
mehr und mehr auf die Einbindung der SPÖ und der mit ihr verbundenen Institutionen
als vermeintliche "Sozialpartner". Damit kann sie mitunter kurzfristig
eine Flanke abdecken, an der weit verbreiteten Frustration über Missstände
wird das dennoch wenig ändern.
Was setzt den Menschen am meisten zu?
Viele Menschen in Österreich haben große Sorgen – um ihre Gesundheit,
um ihren Arbeitsplatz und ihr Einkommen, um die Bildungschancen von Kindern
und Jugendlichen. Dazu kommen mangelnde sozialen Kontakte und der fehlende Austausch
mit anderen Menschen, bei etlichen mitunter gesteigert zu Einsamkeit oder psychischen
Krisensituationen. All das vermengt sich mit dem tiefen Unbehagen über
leere Ankündigungen, offensichtliches Versagen und erlebte Ungerechtigkeiten.
Dazu zählt auch die Sorge um die stark wachsende Kluft zwischen Arm und
Reich sowie die Befürchtung von sozialen Einschnitten, die in einer Umfrage
zu Jahresende 2020 etwa die Hälfte der Befragten als größte
Herausforderung nannten. Die soziale Frage kehrt aus der Alltagserfahrung der
Menschen kommend mit voller Wucht wieder auf die gesellschaftliche Tagesordnung
zurück – allen neoliberalen Beschwichtigungen zum Trotz.
Welche Rolle spielt die soziale Frage bei den Corona-Demonstrationen, die
in den vergangenen Wochen gehäuft stattgefunden haben?
Der Unmut über die Folgen der Krisen kann verschiedenste Formen annehmen.
Wir wissen aus der Geschichte, dass diese nicht zwangsläufig fortschrittlich
sein müssen. Dies ist auch bei den sogenannten "Corona-Demonstrationen"
zu sehen: In den Aufrufen und Forderungen steht nicht die soziale Frage im Vordergrund,
bei den Organisatoren überwiegen sozialdarwinistische Ansätze, die
das "Überleben der Stärkeren" propagieren. Dazu mengen sich
auch Anhänger von Verschwörungstheorien sowie rechtsextreme Kader,
die den Unmut für ihre Zwecke nützen wollen. Für diese Stimmungsmache
werden wissenschaftliche Fakten und medizinische Erkenntnisse bewusst negiert,
die Viruserkrankung wird als "leichte Grippe" verharmlost oder die
Existenz des Virus gänzlich geleugnet.
Was bedeutet das für die steirische KPÖ?
Für uns als Kommunistische Partei kann das im Sinne gesellschaftlicher
Solidarität, Verantwortung gegenüber der Gesundheit der Bevölkerung
und einer wissenschaftlichen Herangehensweise nicht in Frage kommen. Das bedeutet
aber zugleich keinesfalls, dass wir der Corona-Politik der Regierung unkritisch
folgen: Auch und gerade in der Pandemie passiert "Klassenkampf von Oben"
und massive Umverteilung zugunsten der Vermögenden. Fast zwei Drittel aller
bisherigen staatlichen Hilfen in der Corona-Krise kamen Unternehmen zugute,
insgesamt 42 Milliarden Euro bisher. Nur ein knappes Drittel in der Höhe
von 21 Milliarden Euro kam hingegen den arbeitenden Menschen zugute. Noch drastischer
wird dieses Bild, wenn wir berücksichtigen, dass knapp zwei Drittel des
Staatshaushaltes aus Massensteuern finanziert werden, während nicht einmal
jeder zehnte Steuer-Euro aus Unternehmensgewinnen und Vermögenszuwächsen
bezahlt wird.
Wie könnte man gegensteuern?
Diese gewaltigen Schieflagen aufzuzeigen und gegen die Klientelpolitik der
türkis-grünen Bundesregierung für eine sozialen Absicherung der
breiten Mehrheit der Bevölkerung einzutreten, ist das Um und Auf kommunistischer
Politik in Pandemie-Zeiten. Weder das theoretische Abarbeiten noch eine Anbiederung
an den "Corona-Demonstrationen" dürfen im Zentrum unserer Überlegungen
stehen, sondern die Frage, wie wir einen eigenen Pol der Solidarität von
unten schaffen könnte. Unsere scharfe Kritik an der Regierung muss die
soziale Frage in den Vordergrund stellen, einen diesbezüglichen Forderungskatalog
skizzierte der linke Karikaturist Karl Berger unlängst folgendermaßen:
Erhöhung des Arbeitslosengeldes, Delogierungsstopp, 35-Stunden-Woche in
der Pflege, bezahlte Maskenpausen, Kündigungsverbot im Lockdown, Finanzierung
der Krisenmaßnahmen durch Steuern auf Gewinne und höchste Einkommen,
Einführung einer Erbschafts- und Vermögenssteuer, staatliche Unterstützungen
an Standort- und Beschäftigungsgarantien ohne Schlupflöcher knüpfen.
Wo müsste man konkret ansetzen?
Für uns als Kommunisten und Kommunistinnen ist klar, dass auch eine
Pandemie die Spielregeln des Kapitalismus nicht außer Kraft setzt, aber
die gegenwärtige Krise kann ein Augenöffner für viele Menschen
mehr sein über die realen Kräfteverhältnisse im Kapitalismus:
Welche Arbeit ist relevant für das Funktionieren unserer Gesellschaft einerseits
und welche Prioritäten setzt die Regierung andererseits. Wer sind die Gewinner,
wer sind die Verlierer der Krise? Diese Erfahrungen sind wichtig, aber sie bedeuten
keineswegs automatisch ein Erstarken fortschrittlicher und antikapitalistischer
Kräfte.
Für das Personal in Krankenhäusern, in den Supermärkten und
all die anderen sogenannten "Heldinnen und Helden der Krise" hatte
die Regierung nur Applaus anzubieten, aber keine nennenswerten Extra-Zahlungen,
höhere Gehälter oder bessere Arbeitsbedingungen. Noch schlimmer hat
es die über 520.000 Menschen getroffen, die im Jänner 2021 arbeitslos
waren.
Auch viele Künstlerinnen, Musiker oder Selbstständige und kleine
Geschäftsleute trifft die Krise mit voller Wucht.
Die gegenwärtige Krise ist natürlich nicht nur eine Gesundheitskrise,
sondern bringt die multiplen Krisenerscheinungen des Kapitalismus deutlich ans
Licht. In Österreich sehen mehr und mehr Menschen, dass die türkis-grüne
Bundesregierung den Menschen kaum mehr anzubieten hat als heiße Luft,
zumindest der großen Mehrheit der Bevölkerung. Obwohl die "Rettung"
von Menschen, der Wirtschaft und von Arbeitsplätzen mit den Worten "Koste
es, was es wolle" angekündigt wurde, ist offensichtlich, dass ein
großer Teil der Milliarden an Staatshilfen bei großen Konzernen
und Handelsketten landet. Zugleich erleben wir tiefgreifenden ökonomische
Umwälzungen, die die Macht eben dieser Großkonzerne und Online-Multis
gegenüber vielen kleinen Gewerbetreibenden weiter stärkt und wie ein
Turbo für die Monopolisierung vieler Wirtschaftszweige wirkt.
Als Kommunistische Partei sehen wir unsere Aufgabe in der Betonung der Widersprüche
zwischen Oben und Unten. Wir müssen die Kritik an sogenannten "Rettungsmaßnahmen"
schärfen, die nur die Profitinteressen der Konzerne bedienen, während
ArbeiterInnen, Angestellte, kleine und mittlere Gewerbetreibende, Kunstschaffende,
prekär Beschäftigte sowie SchülerInnen und Studierende auf der
Strecke bleiben. Als ersten Schritt dabei sehen wir die beständige Thematisierung
der Notwendigkeit von Vermögenssteuern und auch –abgaben der Millionäre
und Milliardäre in unserem Land. Nur wenn aus den gewaltigen Vermögen
– das reichste Prozent der ÖsterreicherInnen besitzt über 500 Milliarden
Euro! – ein substanzieller Beitrag geleistet wird, kann eine Abwälzung
der Krisenkosten auf die arbeitenden Menschen und die armen Bevölkerungsschichten
durch Kürzungspakete verhindert werden. Mit der Einführung einer Reichensteuer
können jährlich etwa 11 Milliarden Euro lukriert werden, die Kosten
für die Corona-Krise könnten so in wenigen Jahren an den Staat zurückfließen.
Oder anders formuliert: "Corona-Hilfen sind nicht schwer, wenn auch zahlt
der Millionär!"
Wird die Impfung zum "Game Changer"?
Das hoffe ich doch. Die Impfung wird hoffentlich der Durchbruch gegen die
Covid-Pandemie sein, die uns als gesamte Gesellschaft schon hart strapaziert.
Darum muss die Impfung muss gut umgesetzt und vor allem auch gut erklärt
werden.
Lasst du dich impfen? Bist du für eine Impfplicht?
Wenn ich an der Reihe bin, selbstverständlich. Von Vorreihungen von
Politikern und Show-Impfungen halte bei knappem Impfstoff nichts. Eine Impfplicht
lehne ich ab. Wie soll das überhaupt gehen? Sie werden keinen Arzt und
keine Ärztin finden, die jemanden gegen seinen Willen impft. Viel wichtiger
sind sachlich fundierte Argumente, Verständnis und Akzeptanz. Da sind sich
Experten und Expertinnen einig, und das zeigen auch die jahrelangen Erfahrungen
in der Impfstelle der Stadt Graz. Jetzt geht es aber ohnehin einmal darum, dass
der Impfstoff endlich zur Verfügung gestellt wird.
Woran hapert es da?
Nicht zuletzt bei der Herstellung der Impfstoffe offenbart die gegenwärtige
Krise die vielfältigen Gebrechen des Kapitalismus. Obwohl die Kosten für
die Forschung wie auch das Risiko weitestgehend von der öffentlichen Hand
übernommen wurden, liegen die Patente für die Impfstoffe bei privaten
Pharmazie-Unternehmen – und spielen den Pharma-Multis so Milliardenprofite auf
Kosten der Gesundheit und dem Leben unzähliger Menschen ein. Das Ergebnis
dessen bedeutet, dass die Produktion der Impfstoffe auch in den reichen Ländern
nur langsam vorankommt, während Milliarden Menschen im globalen Süden
für lange Zeit noch keinen Zugang zu Impfstoffen haben werden. Eine Pandemie
kann jedoch nur global beendet werden, weshalb wir auch hierzulande dafür
eintreten müssen, dass die Impfstoffe Gemeingüter werden sollen und
die Patente aufgehoben werden müssen. Lichtblicke hierbei sind Impfstoffe
aus Kuba oder der Volksrepublik China, die den Ländern des globalen Südens
in großer Stückzahl zu deutlich günstigeren Konditionen zur
Verfügung gestellt werden, als jene der kapitalistischen Pharma-Konzerne.
Das heißt, die Gesundheitsfrage führt uns direkt zur Systemfrage?
Genau. Auch viele weitere Punkte führen uns vor Augen, dass die kapitalistische
Ökonomie mit ihrer Profitorientierung einer solidarischen Gesellschaft
diametral entgegensteht. Dass etwa ein starkes, öffentliches Gesundheits-
und Pflegewesen ein Grundrecht sein muss und kein Kostenfaktor sein darf, wurde
in der Corona-Krise für breiteste Teile der Gesellschaft sichtbar. Diese
Erkenntnis müssen wir weiterführen für breite Bündnisse
im Sinne der Stärkung des Gesundheitswesens, Aufstockung des Personals
und Verbesserung der Arbeitsbedingungen. All die genannten Fragen gilt es zu
nützen, Bewusstsein zu verbreitern, dass wir mit dem Sozialismus eine gesellschaftliche
Alternative zum System des Kapitalismus brauchen.
Jetzt haben wir viele große Fragen besprochen, wie aber sehen die praktischen
Aufgaben der steirischen KPÖ im Alltag aus?
Unsere praktischen Aufgaben folgen auch in diesen Monaten der Leitlinie "Helfen
statt reden", auch jetzt setzen wir die Sozial- und Mietrechtsberatung
telefonisch oder auch in unseren Büros fort, um in Zeiten sozialer Nöte
für die Menschen da zu sein. Zugleich setzt sich die KPÖ in Gemeinderäten
und im Landtag für soziale Abfederungen der Krise ein, etwas Unterstützungsfonds,
einen Stopp von Delogierungen oder dem Abdrehen von Strom und Heizung.
In Graz ist es uns in den vergangenen Monaten auch in den Ressorts Gesundheit
und Pflege gelungen, wichtige alltägliche Hilfen wie das Projekt "Telefon-Kette
gegen Covid-19" für Risikogruppen, Besuchskabinen in Pflegeheimen
oder kostenlose Corona-Schnelltests für Pflege-Beschäftigte und Sozialeinrichtungen
rasch umzusetzen. Auch in anderen Bezirken gab es solche Unterstützungsaktionen,
wie etwa die kostenlose Verteilung von FFP2-Masken. Mit schnellen, unbürokratischen
Hilfsmaßnahmen müssen wir auch in den kommenden Monaten beweisen,
dass wir eine nützliche Kraft an der Seite der Bevölkerung sind.