In Österreich ist seit 1867 der Kirchenaustritt geregelt, da die katholische
Kirche den Standpunkt vertrat, ein katholisch Getaufter kann die Taufe nicht
ungeschehen machen, wurde damals der Austritt staatlich festgelegt: Man tritt
seither auf den staatlichen Bezirkshauptmannschaften und in größeren
Städten auf den Magistraten aus den Kirchen, diese Ämter verständigen
die jeweilige Kirche und diese hat den Austritt rechtlich zur Kenntnis zu nehmen,
ist also z.B. nimmer berechtigt Kirchenbeiträge einzuheben!
Das funktioniert
ziemlich problemfrei!
In Deutschland ist das anders organisiert, der Austritt muss in Deutschland je nach Bundesland entweder vor dem Amtsgericht (in Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen) oder vor dem Standesamt oder Bürgeramt (andere Bundesländer) erklärt werden.
Bisher hat es nur das Amtsgericht Köln in die bundesweite Presse
geschafft, weil die neuen Termine dort innerhalb weniger Stunden bereits wieder
ausgebucht waren. Doch nicht nur Köln macht seinen Bürgern den Kirchenaustritt
schwer. In über 30 deutschen Städten muss man eigenen Recherchen zufolge
lange auf einen Termin warten.
Wenn man Glück hat, beträgt
die Wartefrist nur circa einen Monat – so zum Beispiel in Würzburg,
aber auch im schon sehr konfessionsfreien Halle
an der Saale. Etwa sechs Wochen dauert es beispielsweise in Saarbrücken und Trier.
In
den meisten Städten in der unten stehen Liste sind die Termine für
Mai und Juni komplett ausgebucht. Dies betrifft nicht nur sehr viele Amtsgerichtsbezirke
in Nordrhein-Westfalen, sondern zum Beispiel auch Fulda und Dresden.
In der sächsischen Landeshauptstadt gehören gerade mal noch um die
20 Prozent dem christlichen Glauben an und trotzdem sind die Termine rar.
Frustrierend
ist die Lage auch in Hessen: Während sich Darmstadt mit
dem Titel "Wissenschaftsstadt" rühmt, können die Termine
für den Kirchenaustritt nur
14 Tage im Voraus gebucht werden. Es ist aber kein einziger
Termin im ganzen Mai frei, Juni wird noch nicht einmal angezeigt.
In Marburg wird
zwar eine Online-Terminvereinbarung angeboten, aber: "Aufgrund der hohen
Nachfrage sind leider z. Zt. alle Termine für die nächsten 5 (6) Wochen
vergeben." Anders als zum Beispiel in Köln wird dem Austrittswilligen
auch nicht
mitgeteilt, wann die nächsten Termine gebucht werden können.
Die
Main-Metropole Frankfurt macht trotz
einer Milliardenverschuldung knapp fünf Millionen Euro locker für
den 3. Ökumenischen Kirchentag, der kommende Woche beginnt. Am Personal
für den Kirchenaustritt spart man anscheinend hingegen: Auf der Website
der Stadt zur Online-Terminvereinbarung heißt es
schon seit Wochen lapidar: "Leider können wir Ihnen im Moment an keinem
Standort einen Termin anbieten." Erst wenn man ein bestimmtes Bürgeramt
auswählt, wird überhaupt ein Kalender angezeigt. Schon seit Mitte
April gibt es bis Ende Mai keinen einzigen freien Termin. Unter dem Mai beginnt
noch ein roter Streifen, so als wenn da auch noch der Monat "Juni"
zu sehen sein sollte. Aber er ist abgeschnitten. Doch selbst wenn hier nur das
Webseiten-Design versagt, sind anscheinend ja auch im Juni keine Termine frei,
sonst stünde dort nicht der zuvor zitierte Satz.
Wartezeiten
von knapp drei Monaten oder mehr
Katastrophal ist die Situation auch
in Hamburg. In der Hansestadt sind verschiedene Standesämter
zuständig. Beim Standesamt Hamburg-Eimsbüttel bekommt man frühestens
Ende Juli einen Termin und nach Aussage einer Mitarbeiterin sieht es bei den
anderen Stellen teilweise sogar noch schlimmer aus. Die Standesbeamtin rät
bei einem Anruf schon von allein dazu, sich an einen Notar zu wenden: Wenn man
seine Austrittserklärung selbst vorbereitet und der Notar diese nur noch
beglaubigen muss, zahle man lediglich 25 Euro. Muss der Notar die Austrittserklärung
hingegen selbst formulieren, kostet es sogar 75 Euro. In beiden Fällen
kommen noch 15 Euro Bearbeitungsgebühr beim Standesamt hinzu, an das man
die beglaubigte Erklärung dann weiterleiten muss.
In München und Osnabrück hat
die Lokalpresse bereits berichtet, dass die Termine schon jetzt bis
Ende Juli im Voraus ausgebucht sind.
"Woelkimania"
in NRW geht weiter
Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen
können die Termine noch nicht bei allen Amtsgerichten über das Internet
gebucht werden. Dort, wo dies möglich ist, war es am vergangenen Samstag
wieder so weit: Immer am ersten Tag eines Monats werden die Termine für
den übernächsten Monat (also jetzt Juli) freigeschaltet. Köln
und Düsseldorf lieferten sich einen knappen "Wettkampf": 9:40 Uhr
am Samstagmorgen waren in Düsseldorf schon
alle neuen Termine für Juli ausgebucht. Köln folgte
wenige Minuten später.
Am Montagmorgen waren dann auch die
Amtsgerichtsbezirke Aachen, Essen, Geldern, Kerpen, Kleve, Velbert und Wuppertal komplett
oder nahezu bis Ende Juli ausgebucht. In mehreren anderen Bezirken war zumindest
die Hälfte aller Juli-Termine schon vergeben. Für Mai und Juni gibt
es keine Termine mehr in den Amtsgerichtsbezirken Bocholt, Bonn, Düren, Krefeld, Leverkusen, Marl, Moers, Mülheim an
der Ruhr, Münster und Viersen.
Wartezeiten
über fünf Monate in Kiel und Dortmund
Die
absoluten Spitzenreiter in der Wartedauer sind jedoch Kiel und
der Amtsgerichtsbezirk Dortmund. In Kiel gibt es aktuell
erst im September wieder freie Termine. Unter der Hand bestätigt das Amt:
Dies hat nicht nur etwas damit zu tun, dass aufgrund der Pflicht zur Terminvereinbarung
weniger Anträge bearbeitet werden können, sondern mit einer Austrittswelle,
wie es sie seit 20 Jahren nicht gegeben habe. Während man früher nur
anderthalb Wochen habe warten müssen, seien es jetzt Monate. Dies habe
aber insofern doch etwas mit der Corona-Pandemie zu tun, als dass die Menschen
jetzt zum einen Zeit für den Austritt übrig, dafür aber weniger
Geld im Portemonnaie hätten.
Dortmund
nimmt nicht am Online-Buchungssystem in NRW teil und vergibt telefonisch Termine
sogar über den Juli hinaus. Frühestmöglicher: 29. Oktober, also
in knapp sechs Monaten. Das ist der traurige Rekord der bundesweiten Recherche.
Für Berlin lagen
zum Zeitpunkt der Veröffentlichung noch keine Daten für alle zuständigen
Amtsgerichte vor. Die Situation scheint sehr unterschiedlich zu sein: Während
das Amtsgericht Schöneberg Anfang April erst Termine für Ende Mai
anbieten konnte, kann man beim Amtsgericht Charlottenburg trotz der Corona-Maßnahmen
einfach ohne Termin seinen Austritt erklären. Auf
der Website des Amtsgerichts Köpenick steht: "Bis vorerst 09.05.2021
sind im Amtsgericht Köpenick k e i n e Kirchenaustritte mehr möglich.
Wenden Sie sich ggf. gem. § 1 Abs. 2 Kirchenaustrittsgesetz an eine Notarin/einen
Notar Ihrer Wahl." Bei drei Versuchen, telefonisch trotzdem einen Termin
zu vereinbaren, waren jedes Mal rund 50 andere Menschen in der Warteschleife.
Skandal
oder coronabedingt unvermeidbar?
In
manchen Presseartikeln findet sich die Bemerkung, dass die Zahl der Austritte
in absoluten Zahlen nicht höher sei als in den Vorjahren. Dies hängt
sicher sehr von der Stadt ab. Gerade für Köln erscheint diese Behauptung
angesichts des Skandals um Kardinal Woelki zumindest zweifelhaft.
Doch
was genau ist an dieser Situation eigentlich so skandalös? Immerhin gelten
aufgrund der Corona-Pandemie in so ziemlich jeder Amtsstube Zutrittsbeschränkungen.
Damit Infektionsketten notfalls nachverfolgt werden können, muss vor dem
Behördengang ein Termin vereinbart werden. Das erscheint ja auch nachvollziehbar
und sinnvoll – das Problem ist der Behördengang selbst: Die sogenannte
"negative Religionsfreiheit" umfasst schließlich auch das Recht,
seine Zugehörigkeit zu einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft
(oder gerade seinen Austritt aus einer solchen!) niemandem – auch nicht
dem Staat gegenüber – offenbaren zu müssen. Dieses Recht wird
durch den staatlichen Kirchensteuereinzug und die Pflicht, seinen Austritt bei
einer Behörde erklären zu müssen, immer wieder aufs Neue verletzt.
Mit
dem Prinzip eines weltanschaulich neutralen Staates ist es nur vereinbar, seinen
Austritt einzig und allein gegenüber der Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft
erklären zu müssen. Und hierfür dürften keine höheren
Anforderungen gelten als bei jeder anderen privaten Mitgliedschaft in einer
Organisation wie zum Beispiel einem Verein – ein einfacher Brief muss genügen.
Doch
auch jenseits dieser grundlegenden Kritik an der gegenwärtigen Verbindung
von Kirche und Staat sind die langen Wartezeiten nicht hinzunehmen. Für
viele andere Fristen und Rechtspflichten hat der Staat aufgrund der Pandemie
Ausnahmen geschaffen. So können Mitgliederversammlungen von Vereinen beispielsweise
digital abgehalten werden und Vorstände bleiben im Amt, auch wenn schon
ein neuer hätte gewählt werden müssen. Warum hat der Gesetzgeber
keine Ausnahme für den Kirchenaustritt erlassen? Solange wie die Termine
bei den Ämtern aufgrund der Corona-Beschränkungen knapp sind, könnte
der ausnahmsweise per einfachem Brief (statt persönlich beim Amt) erklärte
Kirchenaustritt rückwirkend anerkannt werden, wenn der persönliche
Termin auf dem Amt später nachgeholt wird. Genau dies hat die Giordano-Bruno-Stiftung
(gbs) schon am 16. März vorgeschlagen und hierfür
ein Formular entwickelt.
Der
Terminstau kann auch nicht damit gerechtfertigt werden, dass man aktuell für
andere Behördengänge ebenfalls lange Wartezeiten in Kauf nehmen muss.
Zum einen stimmt dies so pauschal nicht. Die Situation hängt anscheinend
stark von der Prioritätensetzung der Kommune ab. Während Kfz-Zulasungsstellen
fast immer noch im gleichen Monat Termine frei haben, genießen Kirchenaustritte
anscheinend keine ausreichende Wichtigkeit. Natürlich ist für den
jeweils Betroffenen auch die Zulassung seines Fahrzeugs bedeutsam. Es soll daher
auch gar nicht der eine Termin gegen den anderen ersetzt werden. Doch Fakt ist,
dass die "überragende Bedeutung der Religionsfreiheit" in
den vergangenen Jahrzehnten von Rechtsprechung und Politik stets einhellig betont
wurde. Daran müssen sie sich nun messen lassen – und endlich für
eine unkomplizierte Austrittsmöglichkeit oder zumindest ausreichend Behördentermine
sorgen.
gbs leistet
"Amtshilfe" beim Kirchenaustritt
Damit
niemand länger Kirchensteuer zahlen muss, als es erforderlich ist, hat
die gbs ein Kirchenaustritts-Formular entworfen,
das man am Computer ausfüllen und ausdrucken kann. Das eigenhändig
unterschriebene Dokument sollte man am besten per Einschreiben an die jeweils
zuständige Behörde versenden. Die richtige Adresse findet man auf
der Website www.kirchenaustritt.de (für
Köln lautet die Adresse übrigens: Amtsgericht Köln, Justizgebäude,
Reichenspergerplatz 1, 50670 Köln).
Es
ist noch unklar, wie die Behörden mit diesem Schreiben umgehen. Wahrscheinlich
werden sie das vorgezogene Datum für den Kirchenaustritt nicht anerkennen
wollen. Die Giordano-Bruno-Stiftung und
das Institut für Weltanschauungsrecht (ifw) sind
allerdings gerne bereit, einen Musterprozess in dieser Angelegenheit zu führen.
Denn es kann nicht sein, dass man zwangsweise Kirchenmitglied bleiben muss –
nur weil der Gesetzgeber es versäumt hat, das Kirchensteuerrecht an die
Rechtswirklichkeit anzupassen und die Möglichkeit zu schaffen, unkompliziert
und zeitnah (beispielsweise auf digitalem Weg) aus der Kirche auszutreten.