Bevor Sie mich steinigen:
Diese Frage stelle nicht ich, sondern ein katholisches Bistum in Polen, das
sich derzeit mit der Schmerzensgeldklage eines Missbrauchsopfers konfrontiert
sieht. Was in den Köpfen katholischer Funktionäre vorgeht, kann einen
wirklich nur noch in Staunen versetzen. Ein Kommentar.
In Deutschland ist nach den Enthüllungen des Münchner Missbrauchsgutachtens
das Entsetzen groß. Wieder einmal. Hunderte Kleriker missbrauchten allein im
Erzbistum München und Freising über Jahre hinweg Hunderte Kinder und die zuständigen
katholischen Funktionäre halfen fleißig beim Vertuschen. Wirklich überraschend
kommt das nach all den bereits gewonnenen Erkenntnissen über das Ausmaß des
weltweiten Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche nicht. Es ist so unfassbar,
dass man fast überhaupt nicht mehr merkt, in welchem Zustand permanenter Fassungslosigkeit
man sich befindet, wenn von der katholischen Kirche und sexuellem Missbrauch
die Rede ist.
Bei der Suche nach einer Antwort auf die Frage, wie das alles passieren konnte
- und noch immer kann - zeigt sich immer mehr, dass nicht nur - wie seit Langem
bekannt - die verdrängte Sexualität der Priester aufgrund des Zölibats eine
Rolle spielt. Und auch nicht nur das hehre Ziel der Funktionärs-Kreuzritter,
den Namen von Mutter Kirche auf Teufel komm raus unbefleckt zu lassen. Es zeichnet
sich auch immer mehr ab, dass krudeste Denkweisen der Kirchenobrigkeit in Bezug
auf die Terra incognita "Sex" Teil des Problems sind.
Im Zuge der Vorstellung des Münchner Missbrauchsgutachtens konnten wir erfahren,
dass für (Ex-)Papst Benedikt XVI. alias Kardinal Joseph Ratzinger Exhibitionismus
und das Zeigen von Pornos nicht in den Bereich sexuellen Missbrauchs fallen.
Klar. Ist schließlich ganz normal, wenn ein 10-Jähriger einen Porno zu schauen
bekommt, während sich Don Cadildo neben ihm nackt auf der Couch einen runterwedelt.
Eine ganz besonders erstaunliche Spekulation zum Thema sexueller Missbrauch
beschäftigt nun seit einigen Tagen Polen. Der 48-jährige Janusz Szymik war
als 12-Jähriger vom pädophilen Priester Jan W. mehrfach vergewaltigt worden.
In einem kirchenrechtlichen Prozess hatte Jan W. den Geschlechtsverkehr mit
dem damaligen Messdiener Szymik bereits vor Jahren zugegeben. Da das Bistum
Bielsko-Żywiec laut Szymik zur Vertuschung der Verbrechen beitrug, verklagte
er das Bistum vor einem Zivilgericht auf ein Schmerzensgeld in Höhe von drei
Millionen Złoty (umgerechnet rund 660.000 Euro).
Da Schmerzengeldzahlungen an Missbrauchsopfer der Kirche selbst bekanntlich
ebenfalls große Schmerzen bereiten, entschied sie sich zu einem Gegenangriff
gegen Szymik. Laut Bericht des großen polnischen Nachrichtenportals Onet.pl
verlangte das beklagte Bistum vom Gericht festzustellen, ob Szymik schwul sei
und er deshalb während des Missbrauchs sexuelle Befriedigung empfunden habe.
Ein bemerkenswerter Gedankengang der Kirchenseite. Und darüber hinaus auch
fantastisch auf beide Geschlechter anwendbar - zugunsten der Kirche, versteht
sich. Denn missbraucht ein Priester ein Mädchen, so muss dieses nach der oben
geschilderten Denkweise ja zwangsläufig sexuelle Befriedigung empfinden, denn
schließlich ist es die gottgewollteste Sache der Welt, dass Männer ihr Geschlechtsteil
in weibliche Körperöffnungen schieben. Da das nicht selten ohne Zustimmung
der weiblichen Person geschieht, muss eine solche sexuelle Missbrauchshandlung
durch den Priester vermutlich sogar als wichtiger Vorbereitungsunterricht aufs
Leben gewertet werden. - Im Ernst, was läuft schief im Hirn von Kirchenleuten,
dass sie auch nur auf die Idee kommen, gegen den Willen eines Menschen erzwungene
sexuelle Handlungen könnten dem Gezwungenen sexuelle Befriedigung verschaffen
- egal welches Geschlecht, welche sexuelle Orientierung oder welches Alter dieser
Mensch hat? Die Annahme, dass inbesondere missbrauchte Kinder Spaß am Missbrauch
hätten, ist übrigens ein Gedanke, der primär in Hardcore-Pädophilen-Kreisen
anzutreffen ist.
Da das Vorgehen der Kirchenseite im Fall Szymik öffentlich wurde und für Unmut
sorgte, ruderte das Bistum inzwischen zurück. Man entschuldigte sich und erklärte,
dieser Frage im Prozess nicht weiter nachgehen zu wollen. Denn schlechte PR
beim Thema Missbrauch kann sich die katholische Kirche selbst in Polen langsam
nicht mehr leisten.