Der kriegerische Einmarsch Russlands in die Ukraine über die Grenzlinien
der Volksrepubliken Donezk und Lugansk hinaus und die daraus resultierenden
menschlichen Tragödien (Tote, Verletzte, Flüchtlinge etc.) stoßen zu Recht
auf Kritik und nachvollziehbare Empörung. Damit hat sich Russland trotz
durchaus berechtigter nationaler Sicherheitsinteressen schuldig und sanktionspolitisch
angreifbar gemacht. Besonders abstoßend ist in diesem Rahmen u. a. auch der
Einsatz von islamisch-tschetschenischen Kampfeinheiten auf russischer Seite.
Diese sollen laut vorliegenden Meldungen den Befehl erhalten haben, ukrainische
Beamte zu verhaften oder zu töten. Berichtet wurde auch, dass der Tschetschenen-General
Magomed Tushayev bei den heftigen Gefechten um den Flugplatz Hostomel bei Kiew
getötet worden sei.
Ein dialektischer Effekt der russischen Invasion ist aber auch die kollaterale
Stärkung globalkapitalistischer Herrschaftssicherungsinteressen. Sie ermöglicht
den westlich-kapitalistischen Regierungen - allen voran Deutschland - erstens
eine "Zeitenwende" hin zu einem neomilitaristischen Hochrüstungsstaat
einzuleiten und der Bevölkerung die entsprechenden Belastungen aufzubürden.
So soll Deutschland nach den Worten des "liberalen" Finanzministers
(!) im Laufe dieses Jahrzehnts mit Hilfe eines 100-Milliardenpakets eine der
schlagkräftigsten und am besten ausgerüsteten Armeen in Europa bekommen,
während die CDU-Opposition für die Wiedereinführung der Wehrpflicht plädiert
- womit wohl über die "friedenspolitische Perspektive" der nächsten
Jahre alles gesagt ist.
Kein Wunder, dass infolge dieser Verheißungen die Aktienkurse der Rüstungskonzerne
umgehend explodieren ].
Zweitens wird die Gelegenheit genutzt, eine politisch-ideologische Generalmobilmachung
nach allen Regeln medial-massenpsychologischer Gleichschaltung und Schwarz-Weiß-Malerei
durchzuführen, um auf diese Weise die gespaltene Gesellschaft im Sinne
einer antirussischen Wutgemeinschaft zu reintegrieren. Drittens lassen sich
mit Hilfe der nunmehr omnipräsenten Kriegsberichterstattung wesentliche kontroverse
Themen wie Islamisierung und Migrationspolitik, Corona-Verordnungen und Impfplicht
etc. vortrefflich aus dem öffentlichen Bewusstsein entfernen, die aber dennoch
weiterhin ihre negativen Wirkungen entfalten. Viertens spielt das Geschehen
unmittelbar den US-amerikanischen Interessen in die Hände, nämlich das Nord-Stream-2-Projekt
zu beseitigen und in Europa Fracking-Gas zu vermarkten.
Unterbelichtet bleibt zudem Folgendes: Im Gegensatz zu den gerade in
Deutschland nachwirkenden russlandfeindlichen Dämonisierungen in der Tradition
des hitlerfaschistischen "Antibolschewismus" und des atlantischen
Antisowjetismus der Kalten-Kriegs-Ära ist Putin - im Gegensatz zu manch westlichen
Bündnisdespoten aus dem Orient - nicht "verrückt". Nicht nur aus
der Perspektive des postsowjetischen russischen Herrschaftssystems mit Putin
als autokratischem Regenten ist die Ukraine (mit ihrem speziellen "prowestlichen"
Oligarchen-Regime) ein Vasallenstaat und Vorposten der USA sowie der NATO mit
der EU als Juniorpartner. Die Ukraine ist keinesfalls eine einheitlich-harmonische
und freiheitlich-demokratische Nation, wie sie jetzt in den Medien im Sinne
der Schwarz-Weiß-Propaganda gezeichnet wird. Empfehlenswert dazu dieser informative
Text: https://www.rubikon.news/artikel/die-ukrainische-vorgeschichte.
Diesen Vorposten der als provokant empfundenen vorgerückten "atlantischen
Vorwärtsverteidigung" gilt es aus russischer Sicht nun auszuschalten.
Putin selbst sieht das so: "Es ist bekannt, dass wir 30 Jahre lang beharrlich
und geduldig versucht haben, uns mit den führenden NATO-Staaten über die Grundsätze
einer gleichberechtigten und ganzheitlichen Sicherheit in Europa zu einigen.
Unsere Vorschläge wurden entweder mit zynischen Täuschungen und Lügen oder
mit Druck und Erpressungsversuchen erwidert. Währenddessen wurde das Nordatlantische
Bündnis trotz all unserer Proteste und Bedenken immer weiter ausgebaut."
[
Daraus ergibt sich keine Rechtfertigung für Putins aktuelles Handeln, aber
eine diplomatisch und verhandlungspolitisch zu berücksichtigende Erklärung
für dessen Vorgehen. Stattdessen werden die Verschärfung der Sanktionen,
die Waffenlieferungen, die von Lindner offiziell ausgerufene Hochrüstung Deutschlands
zu einem militärischen Musterstaat etc. die Lage für Europa (nicht für die
USA) kurz-, mittel- und langfristig eher verschärfen und das Leid in der Ukraine
nicht lindern, sondern vielmehr vermehren und verlängern.
Die USA und die EU wollen offensichtlich keine Verhandlungslösung, sondern
einen profitablen Stellvertreter- und Abnutzungskrieg, der sich massenpsychologisch
und ideologisch zur Ruhigstellung und Ablenkung der eigenen Bevölkerungen ganz
im Sinne der "neuen Normalität" instrumentalisieren lässt.
Trotz aller berechtigten Kritik am kriegerischen Vorgehen Russlands sollte man
unbedingt einen klaren Kopf behalten und sich unter dem Eindruck des massenmedialen
Trommelfeuers nicht zu einer politisch-ideologisch undistanzierten Kumpanei
mit den westlich-globalkapitalistischen Herrschaftsträgern, ihren Parteien,
Medien, supranationalen Institutionen, strategischen Bündnissen und ideologisch-psychologischen
Propagandafeldzügen verleiten lassen.
Denn diese Kräfte sind es, die gestern, heute und morgen statt Sanktionen für
Allianzen mit den extrem menschenrechtsfeindlichen islamischen Despotien und
Diktaturen stehen, diese zukünftig noch stärker mit Waffenlieferungen bestücken
werden, im Inneren die Islamisierung mit demagogischen Narrativen absichern
(Islamkritik=Rassismus), nach wie vor eine destruktive Migrationsagenda für
Europa verfolgen, die ein repressiv-irrationales Pandemieregime mit skandalösen
Grundrechtseinschränkungen und zahlreichen sozialökonomischen Verwerfungen
errichtet, eine wirklich demokratische Öffentlichkeit weitestgehend vernichtet
und durch eine "politisch-korrekte" Zensurgesellschaft ersetzt haben
etc. Das Ganze "unterfüttert" mit einer heillos zerspaltenen und
absolut kopflosen Zivilgesellschaft und garniert mit Inflation, Ausbau prekärer
Beschäftigungsverhältnisse und wachsendem Bildungsverfall (um es hier nur
kurz zu umreißen.)
Die Frage ist: Überschätzt Putin mit diesem kriegerischen Einmarsch in
die Ukraine die eigene Stärke und unterliegt einer Fehleinschätzung der Kräfteverhältnisse
(die westlichen Sanktionen dürfte er antizipiert haben)? Oder ist Russlands
scheinbar überlegtes kriegerisches Vorgehen ein Indikator für die aktuelle
weltpolitische Schwäche des ehemals triumphalistischen westlich-globalkapitalistischen
Herrschaftsblocks, der im Übrigen mit der "kulturellen Moderne" nicht
mehr viel zu tun hat?
Und: Wird China der lachende Dritte des nunmehr neu entfachten Langzeitkonflikts
zwischen dem kapitalistischen "Westen" und Russland?