Eva lässt sich nicht verführen

Was wäre, wenn es keinen Sündenfall gegeben hätte


NOTIZEN Nr. 459

Das Szenario ist bekannt: Mitten in einem Garten namens "Eden" stellte Gott einen Baum, über den er die ersten Menschen informierte: "Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn sobald du davon isst, wirst du sterben." Sie taten's trotzdem und erkannten, dass sie nackt waren.
Aber jetzt kommt's: "Dann sprach Gott, der Herr: Seht, der Mensch ist geworden wie wir; er erkennt Gut und Böse. Dass er jetzt nicht die Hand ausstreckt, auch vom Baum des Lebens nimmt, davon isst und ewig lebt!"
Hoppla! Jetzt erst ist von dem Baum die Rede, den Gott wirklich fürchtet, denn durch den Genuss dieser Früchte könnten die Menschen so werden wie er selbst: unsterblich = göttlich. Also "vertrieb [er] den Menschen und stellte östlich des Gartens von Eden die Kerubim auf und das lodernde Flammenschwert, damit sie den Weg zum Baum des Lebens bewachten."
Soweit einige Spekulationen. Treiben wir nun wieder unser altes Spiel, die Fiktion ("Was wäre, wenn?"), diesmal innerhalb einer anderen Fiktion, der biblischen Erzählung. Wie hätte sich die Welt entwickeln können, hätte Eva der Einflüsterung durch den Schlangerich (die Schlange ist im Hebräischen ein männliches Wesen) nicht erlegen, wenn die Menschen im Paradies geblieben wären und dabei den Baum des ewigen Lebens entdeckt hätten?
Stellen wir uns vor, Eva hätte die Frucht vom Baum der Erkenntnis NICHT genommen.
Wie hätte sich möglicherwiese die Welt entwickelt? Vielleicht so:
"Du Adam" sagte Eva eines Tages, "heute bin ich einem komischen Viech begegnet. Es wand sich um einen Baum und sah so aus wie dein Arm, wenn der nach was aussehen würde."
"Was soll das heißen?"
"Es nannte sich 'Schlanger' und behauptete, wenn wir von der verbotenen Frucht essen würden, dann würden wir den Unterschied zwischen 'gut' und 'böse' kennen."
"Und welchen Vorteil hätte das?"
"Du denkst immer nur praktisch. Wir würden neue Erkenntnisse gewinnen."
"Von but und göse?"
"Naja, wer weiß."
"Und dann?"
"Dann wüssten wir, wenn unsere Handlungen 'gut' sind, dann sind sie gut. Und wenn sie 'böse' sind, dann sind sie böse."
"Und das willst du wirklich wissen?"
"Eigentlich nicht."
"Na, dann lassen wir's."
...

"Du Eva," sagte Adam einige Tage später, "heute habe ich einen seltsamen Baum gesehen. Er trug wunderbare Früchte, ganz rot, riesig, weich und wohlriechend."
"Hast du davon gekostet?"
"Ich hab mich nicht getraut."
"Hast du Angst, die Früchte wären giftig?"
"Nein."
"Hat unser lieber Gott uns verboten, davon zu essen?"
"Nein."
"Also, mal was Neues, nix wie ran!"
Und so aßen sie von den Früchten und erfrischten sich gar köstlich.
"Merkst du was?" fraget Eva.
"Ja", sagte Adam nach einer Weile, "mich hat's die ganze Zeit an der linken Schulter gejuckt, und das ist jetzt weg. Und du?"
"Mir hat's seit einiger Zeit da unten ziemlich gegrummelt, und das ist jetzt weg."
"Klingt verlockend, das müssen wir dem Boss erzählen."
Doch als der 'Boss' sah, was sie taten, war er entsetzt und am Boden zerstört.
"Wisst ihr was ihr getan habt?" fragte er mit gebrochener Stimme. Und antwortet gleich selbst: "Ihr habt den Baum des ewigen Lebens entdeckt, und jetzt werdet ihr werden wie unsereins. Jedenfalls unsterblich. Ein schreckliches Unglück."
"Davon hast du uns nichts gesagt." "Stimmt, den Baum versteckt hast du auch nicht." "Richtig, und verboten hast du uns diese Früchte auch nicht."

Und so wurden die ersten Menschen unsterblich, und leider auch alle ihre Nachkommen. Die Welt bevölkerte sich mit Wesen, die nicht sterben konnten und auch nicht sterben wollten. Bald waren alle Kontinente so überfüllt, dass die so entstandenen Ausdünstungen der Bewohner einen Klimawandel anstießen, der das Heim aller Menschen in eine öde Steinwüste zu verwandeln drohte. So gründete Eva, die sich jetzt "Pascale" nannte, immer noch geistig und körperlich aktiv, eine quasireligiöse Gruppe namens "Montage ohne Macken", die schließlich zur (wissenschaftlich einwandfrei untermauerten) Überzeugung gelangte, Schuld an der allgemeinen Überhitzung sei das viele CO2, das die Menschen mit ihrer Atemluft in die Atmosphäre verströmten. Also verbot die Ideologie der Gruppe das Ausatmen, und diese Gewohnheit (am Anfang noch etwas gewöhnungsbedürftig) verbreitete sich über die ganze Erde.
Und Adam, der sich jetzt "Kevin" nannte, immer noch geistig und körperlich aktiv, erkannte: Das reicht nicht, wir sind einfach zu viel. Weil niemand freiwillig abtreten wollte, startete er ein Atomforschungsprogramm mit dem Ziel einer 'Weltuntergangsmaschine'. Beim ersten Versuch ging alles gut (also daneben), beim zweiten aber nicht, und die Maschine machte ihrem Namen alle Ehre.
Seufzend sah sich Gott den Schlamassel an und begann dann wieder von vorne. Gut, dachte er, dass es einen RESET-Knopf gibt, auch für die Schöpfung. Zumindest, wenn man weiß, wo der steckt.

Dies war ein Ausschnitt aus der wesentlich erweiterten Neuauflage meines Buchs über Alternative Geschichte: "Der Untergang Österreichs".