Katholische Missbrauchsfälle steigen stark an

Das meldete Balázs Bárány am 14.9.2022 auf der Site des Humanistischen Verbandes Österreich:

Die römisch-katholische Kirche in Österreich bearbeitet Vorwürfe von Kindesmissbrauch (ob sexuell oder anders) und anderer Gewalt selbst, auch wenn sie nach außen immer die "unabhängige" Opferschutzkommission, dritter und optionaler Schritt in einem vierteiligen Vorgang, vorschickt. Die Unabhängigkeit sieht man schon daran, dass die Meldung der Fälle nicht bei der Kommission, sondern in kirchlich betriebenen Ombudsstellen geschieht, und auch die Auszahlung der zugesprochenen "Entschädigungen" erfolgt durch die Ombudsstellen. So überrascht auch nicht, dass die Zahl der positiv erledigten Fälle (Meldungen, die die Kirche plausibel genug fand, um Entschädigungen zu zahlen) auch bei den Ombudsstellen zu finden ist (Medieninhaber laut Impressum: Medienreferat der Österreichischen Bischofskonferenz).
In einem grauen Kasten auf der Homepage informieren die Ombudsstellen in unregelmäßigen Abständen über die "zugunsten von Betroffenen" entschiedenen Fälle. Es gibt aber keine Information über die Änderungen, was die Beurteilung der Entwicklung schwierig macht. Man kann jedoch periodisch die Zahlen erfassen oder ältere Stände der Seite beim Internet Archive abrufen, und damit Statistiken erstellen.

Unerwartet starker Anstieg 2022
Per Ende 2021 waren 2.642 erledigte Fälle ausgewiesen. Die nächste Änderung erfolgte im August 2022 mit Stand 31. 7. 2022, und sie ist brisant: Der neue Wert ist 2.959. Das entspricht einer Steigerung um 325 Fälle, 1,53 pro Tag im angegebenen Zeitraum. Das bedeutet, dass etwa 11 % aller Fälle in den ersten sieben Monaten des Jahres 2022 entschieden wurden, obwohl die Kommission und die kirchlichen Strukturen für die Meldung und Entschädigung seit mehr als elf Jahren existieren. Die Zahl ist somit mehr als doppelt so hoch wie sie in den Jahren vor 2022 im Durchschnitt war.
Was könnte die Ursache dieser Entwicklung sein? Die Ombudsstellen geben an, dass 1,4 % der Fälle sich “seit 2000” ereignet haben. Das entspricht 41 Fällen, wovon vier in diesen sieben Monaten des Jahres 2022 erledigt wurden. Der Anteil der Fälle “seit 2000” war auch in den Zahlen vom Ende des Vorjahres angeblich auch 1,4 %. Rechnet man die angegebenen Verteilungen auf die einzelnen Perioden, folgt daraus, dass von den 325 neu gemeldeten/erledigten Fällen nur vier seit 2000, aber 144 in den 1950-er- und 1960-er-Jahren und 148 in den 1970-er- und 1980-er-Jahren stattfanden. Mangels unabhängig erhobener und publizierter Daten müssen wir glauben, dass seit dem Jahr 2000 praktisch kein Missbrauch stattfindet — obwohl erst ab 2009 wirklich Schritte dagegen gesetzt wurden.
Die Ombudsstellen geben an, dass “die meisten” Vorfälle rechtlich verjährt seien – die vier neuen sind jene, die das höchstwahrscheinlich nicht sind. Kindesmissbrauch ist ein Offizialdelikt, die Staatsanwaltschaft muss von sich aus tätig werden, wenn sie glaubwürdige Hinweise auf mögliche Verbrechen erhält.
Die Erledigung von Fällen, die gemeldet wurden (und die strafrechtliche Verfolgung, wo das möglich ist), ist eine Sache. Die Aufarbeitung der vielen tausend Fälle unabhängig davon, ob sie seit 2011 gemeldet wurden oder nicht, ist noch nicht einmal angedacht. In Deutschland haben die Diözesen immerhin externe Studien beauftragt; Länder wie Frankreich, Spanien, Australien und US-amerikanische Bundesstaaten nahmen die Aufarbeitung überhaupt in ihre Hände. Weder das eine noch das andere ist in Österreich ein Thema.

Staatliche Aufarbeitung und Missbrauchsbekämpfung?
Dabei kann die Republik Österreich eine eigene Stelle für die Missbrauchsbekämpfung einrichten und hat das bereits getan: Die Vertrauensstelle vera* gegen Missbrauch im Kultur- und Sportbereich. Warum nicht auch dort, wo wir schon länger wissen, dass der Missbrauch systematisch vertuscht wurde und die Täter nur zwischen Pfarren hin und her verschoben wurden? Schließlich hat der Verfassungsgerichtshof erst Ende Juli klargestellt, dass der Kulturbereich vom Staat genauso behandelt werden muss wie die Religionsausübung.
Vielleicht sollten wir darauf hinweisen, dass in Kirchen jeden Sonntag fiktive Geschichten erzählt werden, mit Musik und Gesang. Reicht das für eine Einstufung als Kultur? Oder die geistigen Klimmzüge, mit denen vieles, was im 21. Jahrhundert keinen Platz in einer aufgeklärten Gesellschaft hat, gerechtfertigt wird, als Sport? Die regelmäßigen Wandertage, bei denen heilige Objekte herumgetragen werden als Kombination zwischen Straßenkunst und körperlicher Ertüchtigung?

Im Ernst: Die stark steigende Zahl der von der katholischen Kirche bestätigten Missbrauchsfälle bestätigt, dass das Problem nach wie vor eines ist. Es gibt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch Priester, die Kontakt zu Kindern haben und eine Gefahr darstellen, ganz abgesehen von der Strafverfolgung der Täter. Zumindest ist die Erzählung von der vorbildlichen Behandlung der Materie durch österreichische kirchliche Stellen einer genauen Prüfung durch die mediale Öffentlichkeit zu unterziehen. Eine ähnliche Aufarbeitung durch wirklich kirchenexterne Stellen wie in vielen anderen Ländern steht an.

Vor allem muss die Republik handeln und eine vollständige Aufarbeitung unabhängig von kirchlichen Strukturen durchführen.

PS: hier dazu wieder einmal das alte Lied über den vom Zölibat verursachten tradionellen katholischen Missbrauch:
Als die katholische Kirche weitgehend noch real allmächtig war, da spielten Sexualtaten von Klerikern keine Rolle, weil das hatte das Volk zu dulden und die Täter mussten nur selten was befürchten, wie etwa ein berühmtes deutsches Volkslied aus dem 16. Jahrhundert belegt, das mit der Zeile "Es wollt ein Bauer früh aufstehn" beginnt und auch unter dem Titel "Des Pfaffen Arschgesicht" bekannt war.
Zupfgeigenhansel singt uns das Lied hier vor: