Über den heurigen Gewinner des Physik-Nobelpreises wurde von meinemeinen
heute am 20.10. ein Artikel vom 16.10.2022 (aktualisiert am 19.10.) auf der
Site der Humanisten und Freidenker (https://humanisten.at/)
gefunden,
der Vereinsvorsitzende Gerhard Engelmayer schreibt dort:
Keine vier Stunden nach Bekanntgabe des Nobelpreises für Physik postete
Schönborn bereits die Übernahme des Herrn Zeilinger unter den weiten Schutzmantel
der Kirche, indem er ihn als "Transzendenzoffenen Naturwissenschaftler"
pries, was immer das für Otto Normalverbraucher heißen mag. Mehrere andere
Tweets aus dieser Ecke bliesen in dasselbe Horn.
Ich deute das als klaren Vereinnahmungsversuch. "Selbst Physiker sind
gläubige Menschen", heißt die Botschaft, oder zumindest "können
es sein". Hat Professor Zeilinger das wirklich gesagt? Ist er ein gläubiger
Mensch?
Und selbst wenn er es gesagt hat, hat das für den Einzelnen irgendeine Relevanz?
Sagt er in Wirklichkeit nicht genau das, was wir Religionskritiker seit Menschengedenken
auch sagen, nämlich dass Religion die Sache jedes Einzelnen ist und er gegen
jede Grenzüberschreitung zwischen Wissenschaft und Religion ist?
Zweifelsohne ist aber das Grenzüberschreitungs-Statement auch eine harsche
Kritik an dem Atheisten Richard Dawkins, der in seinem "Gotteswahn"-Buch
der Religion jede Daseinsberechtigung abgesprochen hat, vorwiegend aus Sorge,
dass die Religion in vielen Hinsichten einen schädlichen Einfluss auf Menschen,
vor allem auf Kinder ausübt (und weniger um der Naturwissenschaft eine Art
"Vorherrschaft" zu sichern, wie ihm unterstellt wird).
Genau diesen Aspekt der Schädlichkeit von Religionen finden wir bei allen Äußerungen
Zeilingers unterbelichtet. Er befasst sich hauptsächlich mit dem kognitiven
Element der Religion. Gott kann man nicht beweisen, ja es ist nicht einmal wünschenswert,
weil dann der Glaube als Glaube zerfällt.
Zeilinger behauptet nur, dass selbst ein Naturwissenschaftler ein gläubiger
Christ sein kann. Daran ist nichts auszusetzen. Es ist die persönliche
Entscheidung des Einzelnen. Damit wird er zum Grenzgänger zwischen einem gläubigen
Christen und einem Agnostiker.
Zeilinger ist aber über ein positivistisches Verständnis hinausgewachsen und
sieht Religion und Metaphysik nicht mehr als überflüssig und sinnlos an, sondern
für den Einzelnen als möglicherweise wertvoll. Vielleicht verwechselt er Religion
mit Spiritualität (Einsteins Religion).
Humanisten kritisieren an Zeilinger nur, dass dieser seiner Vereinnahmung bisher
nicht widersprochen hat und die Kirche und deren Aktivitäten offenbar kritiklos
anerkennt, ohne sich damit auseinandergesetzt zu haben. Ein Gläubiger ist eben
mehr als nur jemand, der an Gott glaubt, vor allem ein prominenter.
Er transportiert eine Information, die mit heutiger Ethik nicht kompatibel
ist. Moderne aufgeklärte Ethik steht im Gegensatz zu autoritären, frauenfeindlichen
und leibfeindlichen Konzepten der großen Religionen. Wissenschaft braucht
Gedankenfreiheit. Das gibt es nur in einer säkularen Gesellschaft.
Es kann nicht sein, dass sich Wissenschaftler, die von uns allen bezahlt
werden, vor den Karren der Religion spannen lassen.
Den Kunstbegriff "Transzendenzoffenheit" müsste man erst definieren,
aber ich bezweifle, dass Kirche und Zeilinger das gleiche darunter verstehen.
In der kolportierten Diktion kommt Zeilinger als gläubiger Christ drüber,
mit allen diesbezüglichen Duftnoten.
Die Kirche begreift auch nicht, dass eine Vereinnahmung Zeilingers sinnlos
ist. Es werden damit nicht mehr Menschen gläubig. Wohl aber handelt es sich
eher um einen armseligen PR-Gag.