Wer wird die kommende Supermacht?

USA oder China?


Aussendung von Peter Ripota vom 12.11.2022

Mit den USA steht's derzeit nicht so gut, politisch gesehen, während die chinesische Führung alles im Griff hat. Oder?

Die große Befürchtung - oder Hoffnung, je nach Weltanschauung - : China wird demnächst Nr. 1, zumindest wirtschaftlich. Die Wirtschaft wächst, die Bevölkerung ist fleißig und diszipliniert, Pandemien werden rigoros bekämpft und chinesische Waren sind in aller Welt beliebt. Zudem lenkt eine weise Führung alles in die richtige Richtung. Oder auch nicht; wie richtig Entscheidungen waren, sieht man meist erst nach Jahrzehnten.
Halten wir's mit Jared Diamond ("Arm und reich. Die Schicksale menschlicher Gemeinschaften") und sehen wir uns als erstes die Geographie als bestimmenden Faktor an. Beide Länder sind etwa gleich groß (9,5 Millionen km²), doch im Klima unterscheiden sie sich sehr. Die USA liegen nördlicher als China, in der sogenannten gemäßigten Zone. Sie haben im Golf vom Mexiko einen veritablen Luftbefeuchter für den notwendigen Regen, keine wirklich hohen Bergketten und nur wenige Wüsten. Dagegen besteht China aus vielen Landstrichen, in denen Ackerbau, Viehzucht oder die Ansiedlung von Menschen nicht möglich sind. Zudem haben die Gletscher in den USA viele Mineralstoffe hinterlassen, welche die Erde fruchtbar machen, was China in diesem Ausmaß nicht erlebt hat. 80% der Chinesen leben in 20% des Landes. Zwar konzentriert sich die Bevölkerung der USA auch eher an den Küsten und in den Großstädten. Aber es gibt einen großen Unterschied, und das ist die Landnutzung.

Nehmen wir drei große Gebiete, für die ein Staat Land braucht: (1) Landwirtschaft & Viehzucht (wichtig für die Ernährung des eigenen Volks), (2) Produktionsflächen für technische Dinge (nicht nur Maschinen und Gebrauchsgegenstände, auch Flächen zur Erzeugung von Energie), (3) Wohnflächen.

Da hatten die USA, dank ihrer Geographie, einfach Glück: Die drei Gebiete sind getrennt. In den Gegenden mit großen Agrarflächen gibt es keine Kraftwerke oder Autofabriken und auch wenige Menschen. In den Landesteilen mit Produktionsstätten gibt es keine Agrarflächen. Und dort, wo es die Menschen hinzieht, gibt es weder Fabriken noch Kernkraftwerke.
Ganz anders in China: Wegen der vielen unbewohnbaren Landesteile im Westen konzentrieren sich alle drei Landflächen im Westen, auf eher kleinem Gebiet - und es gibt keine Ausweichgegenden. Dazu kommt: Die Bevölkerung Chinas ist rund 5 mal so groß wie die der USA, während Landwirtschaft und Transport der Nahrungsmittel nicht so effektiv durchorganisiert sind wie im Konkurrenzland.
Womit wir zu den anderen Faktoren kommen, zur Soziologie, Psychologie und Geschichte. Der Kapitalismus hat uns schreckliche Probleme, aber eben auch Reichtum und Macht gebracht. Das System funktioniert indes nur durch Konkurrenz und Innovation. Beides wird in den USA hochgeschrieben, in China eher nicht.
Dazu kommt: China erfährt, wie alle industrialisierten Länder, einen Bevölkerungsverlust. Der wird in diesem Land noch durch die Ein-Kind-Politik der vergangenen Jahrzehnte unterstützt. Für die USA kein Problem: Es war schon immer ein Zuwandererland und ist es auch heute noch, trotz Tiraden gegen Asylsuchende aus dem Süden. Die USA leben von Zugezogenen, sowohl von Intellektuellen als auch von einfachen Arbeitern. Nicht so China: Ausländer sind unerwünscht, und irgendwann gehen dem Land die Arbeitswilligen aus. Von anderen Problemen ganz zu schweigen, die jedes kapitalistische Land kennt oder durchgemacht hat: Umweltverschmutzung, uneffektiver Einsatz von Produktionsmitteln und Arbeitskräften, Überbevölkerung in manchen Gebieten (dort, wo es Arbeit gibt) und damit Wohnungsnot, leer stehende Fabriken und verlassene ganze Städte anderswo. Zu wenige landwirtschaftliche Produkte für die immer noch riesige Bevölkerung. Keine wirklichen Innovationen wegen Unterdrückung freier Forschung - Patente müssen bezahlt, Produktionsverfahren importiert (oder gestohlen) werden.

Alle Länder dieser Erde haben irgendwelche großen Probleme (außer der Schweiz). Infolge der Globalisierung ziehen Schwierigkeiten des menschlichen Zusammenlebens, der Wirtschaft und der Umweltvernichtung weltweite Auswirkungen nach sich. Doch es geht um die Art, wie diese Schwierigkeiten angepackt werden:
- zentral gesteuert wie die Ein-Kind-Politik, die zu einem Überschuss an unzufriedenen Männern (und heiratsunwilligen Frauen) führte; oder die Null-Covid-Politik, die das Wirtschaftswachstum erheblich beeinträchtigte;
- oder ein gemeinsames Vorwärtstasten in eine ebenso ungewisse wie ungeplante Zukunft, mit vielen Irrwegen und einem keineswegs idealen Optimum, das sich aber bisher von allen schlechten Methoden immer noch am besten bewährt hat.

Ganz abgesehen von der militärischen Stärke, in der kein Land die USA aufholen kann - auf Grund obiger Faktoren wird Amerika weiterhin für längere Zeit die Führungsmacht bleiben. Ob zum Wohl der Menschheit oder gegen sie, das wird sich zeigen.