Mit den USA steht's derzeit nicht so gut, politisch gesehen, während die chinesische Führung alles im Griff hat. Oder?
Die große Befürchtung - oder Hoffnung, je nach Weltanschauung - : China
wird demnächst Nr. 1, zumindest wirtschaftlich. Die Wirtschaft wächst, die
Bevölkerung ist fleißig und diszipliniert, Pandemien werden rigoros bekämpft
und chinesische Waren sind in aller Welt beliebt. Zudem lenkt eine weise Führung
alles in die richtige Richtung. Oder auch nicht; wie richtig Entscheidungen
waren, sieht man meist erst nach Jahrzehnten.
Halten wir's mit Jared Diamond ("Arm und reich. Die Schicksale menschlicher
Gemeinschaften") und sehen wir uns als erstes die Geographie als bestimmenden
Faktor an. Beide Länder sind etwa gleich groß (9,5 Millionen km²), doch im
Klima unterscheiden sie sich sehr. Die USA liegen nördlicher als China, in
der sogenannten gemäßigten Zone. Sie haben im Golf vom Mexiko einen veritablen
Luftbefeuchter für den notwendigen Regen, keine wirklich hohen Bergketten und
nur wenige Wüsten. Dagegen besteht China aus vielen Landstrichen, in denen
Ackerbau, Viehzucht oder die Ansiedlung von Menschen nicht möglich sind. Zudem
haben die Gletscher in den USA viele Mineralstoffe hinterlassen, welche die
Erde fruchtbar machen, was China in diesem Ausmaß nicht erlebt hat. 80% der
Chinesen leben in 20% des Landes. Zwar konzentriert sich die Bevölkerung der
USA auch eher an den Küsten und in den Großstädten. Aber es gibt einen großen
Unterschied, und das ist die Landnutzung.
Nehmen wir drei große Gebiete, für die ein Staat Land braucht: (1) Landwirtschaft & Viehzucht (wichtig für die Ernährung des eigenen Volks), (2) Produktionsflächen für technische Dinge (nicht nur Maschinen und Gebrauchsgegenstände, auch Flächen zur Erzeugung von Energie), (3) Wohnflächen.
Da hatten die USA, dank ihrer Geographie, einfach Glück: Die drei Gebiete
sind getrennt. In den Gegenden mit großen Agrarflächen gibt es keine Kraftwerke
oder Autofabriken und auch wenige Menschen. In den Landesteilen mit Produktionsstätten
gibt es keine Agrarflächen. Und dort, wo es die Menschen hinzieht, gibt es
weder Fabriken noch Kernkraftwerke.
Ganz anders in China: Wegen der vielen unbewohnbaren Landesteile im Westen konzentrieren
sich alle drei Landflächen im Westen, auf eher kleinem Gebiet - und es gibt
keine Ausweichgegenden. Dazu kommt: Die Bevölkerung Chinas ist rund 5 mal so
groß wie die der USA, während Landwirtschaft und Transport der Nahrungsmittel
nicht so effektiv durchorganisiert sind wie im Konkurrenzland.
Womit wir zu den anderen Faktoren kommen, zur Soziologie, Psychologie und Geschichte.
Der Kapitalismus hat uns schreckliche Probleme, aber eben auch Reichtum und
Macht gebracht. Das System funktioniert indes nur durch Konkurrenz und Innovation.
Beides wird in den USA hochgeschrieben, in China eher nicht.
Dazu kommt: China erfährt, wie alle industrialisierten Länder, einen Bevölkerungsverlust.
Der wird in diesem Land noch durch die Ein-Kind-Politik der vergangenen Jahrzehnte
unterstützt. Für die USA kein Problem: Es war schon immer ein Zuwandererland
und ist es auch heute noch, trotz Tiraden gegen Asylsuchende aus dem Süden.
Die USA leben von Zugezogenen, sowohl von Intellektuellen als auch von einfachen
Arbeitern. Nicht so China: Ausländer sind unerwünscht, und irgendwann gehen
dem Land die Arbeitswilligen aus. Von anderen Problemen ganz zu schweigen, die
jedes kapitalistische Land kennt oder durchgemacht hat: Umweltverschmutzung,
uneffektiver Einsatz von Produktionsmitteln und Arbeitskräften, Überbevölkerung
in manchen Gebieten (dort, wo es Arbeit gibt) und damit Wohnungsnot, leer stehende
Fabriken und verlassene ganze Städte anderswo. Zu wenige landwirtschaftliche
Produkte für die immer noch riesige Bevölkerung. Keine wirklichen Innovationen
wegen Unterdrückung freier Forschung - Patente müssen bezahlt, Produktionsverfahren
importiert (oder gestohlen) werden.
Alle Länder dieser Erde haben irgendwelche großen Probleme (außer
der Schweiz). Infolge der Globalisierung ziehen Schwierigkeiten des menschlichen
Zusammenlebens, der Wirtschaft und der Umweltvernichtung weltweite Auswirkungen
nach sich. Doch es geht um die Art, wie diese Schwierigkeiten angepackt werden:
- zentral gesteuert wie die Ein-Kind-Politik, die zu einem Überschuss an unzufriedenen
Männern (und heiratsunwilligen Frauen) führte; oder die Null-Covid-Politik,
die das Wirtschaftswachstum erheblich beeinträchtigte;
- oder ein gemeinsames Vorwärtstasten in eine ebenso ungewisse wie ungeplante
Zukunft, mit vielen Irrwegen und einem keineswegs idealen Optimum, das sich
aber bisher von allen schlechten Methoden immer noch am besten bewährt hat.