Katharina Nocun hat sich gemeinsam mit Pia Lamberty einen Namen bei der
Aufklärung über Verschwörungsmythen gemacht. Das dritte und aktuelle Buch
der Autorinnen beschäftigt sich mit Esoterik und den Gefahren, die aus diesen
auf den ersten Blick harmlosen Spinnereien erwachsen können.
Die Politik- und Wirtschaftswissenschaftlerin Nocun, die sich auch in mehreren
Bürgerrechtskampagnen engagierte, war nun zu Gast in Fürth beim dortigen Bund
für Geistesfreiheit (bfg) und dem Institut für populärwissenschaftlichen
Diskurs Kortizes.
Gerade Frauen werden früh mit esoterischem Gedankengut in Berührung gebracht,
berichtete die bekannte Aufklärerin Katharina Nocun zu Beginn. Oft käme es
harmlos daher, etwa über die Rolle von Sternzeichen in Mädchenzeitschriften
oder positiv dargestellte Hexen in Fernsehserien. Gerade in Phasen der Orientierung,
aber auch in Lebenskrisen oder Chaos-Situationen seien Menschen anfällig für
Übernatürliches, das ihnen die Illusion von Kontrolle über die Dinge gebe,
und esoterisch geprägte Menschen seien wiederum zugänglich für Verschwörungserzählungen
und Falschmeldungen.
Diese Verbindung, gerade beim Thema Gesundheit, habe sich nicht erst während
der Corona-Pandemie gezeigt, auch wenn sie da besonders deutlich ins Blickfeld
der Öffentlichkeit rückte. Nocun sei keineswegs überrascht gewesen, dass
die Frau, die zum Sturm auf den Reichstag aufrief, eine Esoterikerin war, denn
diese Blase sei mitnichten harmlos und unpolitisch. Im Gegenteil: Esoterik-
und Verschwörungsszene hätten mit Wissenschaft und Medien ähnliche Feindbilder
und es gebe eine mangelhafte Abgrenzung nach rechts, auch wenn man vermuten
würde, dass unter Esoterik-Anhänger:innen eher ein natürlicher Bezug zu links-alternativen
Auffassungen bestehe. Doch solche Konzepte seien nicht antiautoritär, spirituelle
Führungsfiguren dürften nicht hinterfragt werden.
Die Autorin führte zunächst in die Grundlagen ein. Die Kernelemente
esoterischen Denkens sind: durch Selbstoptimierung Hilfe bei Problemen anzubieten,
ein holistisches Weltbild, das die wissenschaftliche Sichtweise abwertet und
Erfahrungen aus dem persönlichen Umfeld höher gewichtet, magisches Denken
(Zusammenhänge zu sehen, wo keine sind) und das Selbst als höchste Instanz
– ein Unterschied zu Religionen, eine persönliche Aufwertung, die das Bedürfnis
nach Besonderheit und Einzigartigkeit befriedigt. Außerdem der Glaube an eine
gerechte Welt, der auch das toxische Element enthält, dass derjenige, dem Unglück
geschieht, das auch verdient hat.
Frauen tendierten mehr zur Esoterik, einerseits aufgrund der bereits erwähnten
Sozialisation, andererseits, weil die positive Konnotation der Weiblichkeit
(etwa die Urkraft der Gebärmutter) einen Kontrast darstelle zu einer Welt,
die durch Diskriminierung und Misogynie geprägt sei. Heute findet gezielte
Ansprache auch über spirituelle Influencer in den Sozialen Medien statt. Während
es bei Frauen eher um mystische Heilpraktiken geht, werden Männer mit Versprechen
von Erfolg und Reichtum adressiert.
Spirituelle Reinigung der Gebärmutter
Nocun erzählte auch von der Recherche, was in der gut besuchten Fürther Volksbücherei
mitunter amüsierte Reaktionen hervorrief: Etwa besuchte sie mit ihrer Autoren-Kollegin
eine Esoterik-Messe, um sich über die neuesten Trends zu informieren und die
Strategien der geschäftsmäßigen Seher und Heiler zu studieren. Unter anderem
ließ sie sich die Karten legen und eine Aura-Fotografie von sich erstellen;
zudem nahm sie an einem Webseminar zur spirituellen Gebärmutterreinigung
teil. Denn wenn irgendetwas körperlich nicht in Ordnung ist, kann das nach
dieser Überzeugung nur an Altlasten aus vergangenen Leben oder von früheren
Sexualpartnern stammen, die sich dort abgelagert hätten. So ließe sich auch
ein unerfüllter Kinderwunsch verwirklichen, versprechen die Anbieter. Manchmal
sei es schwer, bei diesen Praxis-Tests ernst zu bleiben, räumte die Bürgerrechtlerin
ein. Auffällig sei, dass viele Angebote zunächst kostenlos sind, schnell aber
in teuren Aufbauseminaren münden.
Den scheinbaren Erfolg des Wahrsagens erläuterte sie anhand des sogenannten
"Barnum-Effekts": positive Eigenschaften würden betont, es werde
Kritik geäußert, die keine ist und dadurch schmeichelt, große Themen, die
alle Menschen betreffen, würden angesprochen, wo man leicht einen Treffer landet
(etwa Liebe oder Verlust) und vage Aussagen getroffen, die auf viele irgendwie
zutreffen. Anhand der Reaktion des Gegenübers könne ein Wahrsager überprüfen,
ob seine Aussagen einen Nerv getroffen haben. In der heutigen Zeit könne außerdem
eine Internetrecherche über den Kunden die Illusion eines "magischen Einblickes"
erzeugen.
Weitere Tricks der Esoteriker, um Vertrauenswürdigkeit zu suggerieren, seien
"Studien", die einen wissenschaftlichen Charakter erwecken sollen,
Pseudo-Experten und erfundene Fachbegriffe sowie die esoterische Umdeutung echter
Forschung, wie es etwa die "Quantenheilung" tut, die sich zu Nutze
macht, dass die meisten Menschen nicht viel über die hochkomplizierte Quantenphysik
wissen.
Katharina Nocun, Pia Lamberty: "Gefährlicher
Glaube – Die radikale Gedankenwelt der Esoterik", Köln 2022, Quadriga-Verlag,
304 Seiten, 22,00 Euro.
Die Vortragende kritisierte die Auswirkungen esoterischer Praxis: Menschen könnten
in eine Schuldenfalle geraten, wenn sie sich bei unternehmerischem Erfolg auf
die Wirkmacht positiver Gedanken verlassen und Misserfolge gar nicht erst in
Erwägung ziehen, weil man glaubt, diese allein durch das Zulassen der Gedanken
daran zu "manifestieren". Generell könne Esoterik Menschen dazu bringen,
risikobehaftete Dinge zu tun, wie etwa Bleichmittel einzunehmen. Die Vorstellung
der Wiedergeburt (enthalten in sogenannten "Rückführungstherapien")
könne eine toxische Dynamik in zwischenmenschlichen Beziehungen entfalten,
wenn behauptet wird, dass man sich in früheren Leben schlimme Dinge angetan
hätte. Der Glaube an die Wirkung übernatürlicher Heilmethoden könne langfristig
zu einer Ablehnung von Medizin generell führen und die Inanspruchnahme echter
Therapien verhindern, was mitunter sogar zu Todesfällen führe. Eine Schuldumkehr
bei Depressiven könne ebenso fatale Folgen haben. "Menschenverachtend",
nennt Katharina Nocun solche Konzepte deshalb.
Zum Schluss rief die Bürgerrechtlerin dazu auf, aktiv gegen Esoterik-Glauben
aufzuklären. Dies sei aber nur bis zu einem gewissen Zeitpunkt möglich. Hätten
Menschen ein solches Weltbild erst einmal verinnerlicht, könne man sie nicht
mehr erreichen. Nicht zuletzt liegt dies an einer Immunisierungsstrategie, die
behauptet, dass Kritiker Teil einer Verschwörung gegen die jeweilige Gruppe
seien. Die Autorin mahnte: "Man muss sich klarmachen, dass nichts zu
tun auch eine politische Entscheidung ist."