Aktuell plant der Schweizer Ein-Personen-Unternehmer Daniele Ganser eine
Vortragstour durch Österreich. Ganser ist in der verschwörungsideologischen
Szene auch hierzulande eine ständige Referenz – manchen gilt er gar als der
„bekannteste Verschwörungstheoretiker des deutschsprachigen Raums“.1 Auf
Social Media folgen ihm Hunderttausende, manche seiner Videos erreichen eine
halbe Million Views. Als Autor beliefert er u.a. den digitalen Verschwörungsumschlagplatz
Rubikon News, in dessen Redaktionsbeirat er auch sitzt. Als Interviewpartner
wird Ganser von weiteren einschlägigen Desinformationsplattformen geschätzt,
darunter der Kreml-Propagandasender RT (vormals Russia Today) oder in Österreich
das rechtsextreme AUF1, RTV oder Report24. Seine Selbstdarstellung als "Friedensforscher",
sein Antiamerikanismus und seine Inszenierung als ebenso mutiger wie verfolgter
Renegat gegen ein verschworenes Meinungskartell haben Ganser auch in linken
und weltanschaulich diffusen Kreisen eine gewisse Resonanz verschafft. Besondere
Beachtung findet seine Arbeit dementsprechend in jenem Querfront-Spektrum, das
sich um Akteure wie das deutsche COMPACT-Magazin, den Kai-Homilius-Verlag oder
die Medienprojekte von Ken Jebsen gruppiert. Umgekehrt werden derartige Portale
von Ganser regelmäßig als empfehlenswerte Alternativen zu seriösen Medien
beworben.
Bis heute zehrt der Schweizer von seiner Vergangenheit im akademischen Betrieb
und den dabei erworbenen Credentials: promovierter Historiker, Tätigkeiten
an der renommierten ETH Zürich (bis 2006) und den Universitäten Basel und
St. Gallen. Mit der Abkehr von wissenschaftlichen Arbeitsweisen bei gleichzeitig
zunehmender Abwegigkeit seiner Thesen machte Ganser sich sukzessive für akademische
Institutionen untragbar. Seit 2011 steht er seinem eigenen "Institut"
vor, das freilich anstelle wissenschaftlicher Arbeit der Abwicklung und Vermarktung
der Marke Ganser, seiner Buch- und Vortragsgeschäfte dient.
Berührungsängste mit dem rechten Rand kennt Ganser nicht. Vom deutschen Rechtsextremisten Michael Vogt ließ er sich wiederholt interviewen, 2014 diskutierte er für COMPACT mit dem Neonazi Karl-Heinz Hoffmann (Namensgeber der Terrororganisation Wehrsportgruppe Hoffmann) das Münchner Oktoberfestattentat und lieferte dabei eine Interpretation desselben, die auf eine Entlastung des militanten Neonazismus hinauslief. Im selben Jahr trat Ganser auf dem Kongress der Anti-Zensur-Koalition des Schweizer Sektenführers und Antisemiten Ivo Sasek auf, wo zuvor u.a. die HolocaustleugnerInnen Bernhard Schaub und Sylvia Stolz referiert hatten. 2016 sprach Ganser auf dem "Geopolitik Kongress" des KOPP-Verlags, eines zentralen Players im Geschäft mit der Angst und Affinität zu Verschwörungsmythen, zwischen milieutypischen Referaten über die "wahren Motive" der "Massenzuwanderung" oder die vermeintliche Rolle George Soros‘ darin. 2017 sagte Ganser einen Auftritt beim Verein Mittelstandsforum der AfD (Alternative für Deutschland) mit Bedauern ab, da Medien versuchen würden, ihn "zu diffamieren" und "auch die AfD in die rechte Ecke rücken".
Da Ganser von Buchverkäufen und Vortragshonoraren lebt, sein Dissertationsthema ("NATO-Geheimarmeen") aber auf Dauer ungeeignet ist, das Geschäft am Laufen zu halten, hat er – "von dem Zwang getrieben, aktuell bleiben zu müssen" – sein inhaltliches Portfolio immer wieder erweitert und seine Welterklärung immer weiter ausgebaut. Dies zunehmend losgelöst von der wissenschaftlichen Erwartungshaltung eigener empirischer Arbeit am Thema. Letztendlich sei "alles miteinander verbunden", was "jenseits aller etwaiger Überzeugung von der Notwendigkeit motiviert zu sein [scheint], im Geschäft zu bleiben." So hat er sich etwa auch Positionen zugewandt, wie sie von den sogenannten Reichsbürgern vertreten werden. Deutschland sieht er als (von den USA) besetztes Land, die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit gilt ihm – im Einklang mit Rechtsextremen – als Ausdruck "psychologische[r] Kriegsführung" gegen die Deutschen. Im Zuge der Covid-19-Pandemie reihte der vormalige Wissenschaftler Ganser sich bereitwillige in die Rolle der Wissenschaftsfeinde ein: auf Rubikon erschienen Artikel, welche die Pandemie schlichtweg leugneten. Ganser selbst zählte im November 2021 – zusammen mit Heiko Schöning, Michael Ballweg und anderen Gesichtern der deutschen "Querdenker"-Szene – zu den Erstunterzeichner*innen eines Appells, der nicht etwa in der Krankheit Covid-19, sondern vielmehr in der "‘Impf‘-Kampagne [sic]" dagegen eine "Gefahr […] für Milliarden von Menschen" erblickte. Für einen im Mai 2022 erschienenen Film über die vermeintlichen Hintergründe der Pandemie griff Ganser gar zur Holocaustrelativierung, in dem er die "Spaltung" zwischen Geimpften und Ungeimpften mit der Frontstellung zwischen Nazis und Jüdinnen und Juden verglich: Bei letzterem habe es sich um lokalen "Wahnsinn" gehandelt, heute herrsche ein solcher weltweit.
Bei aller thematischen Verbreiterung konstant geblieben sind der Fluchtpunkt
von Gansers Analysen – schuld an allem Unbill sind grundsätzlich die NATO
bzw. die USA – und seine Arbeitsweise, die das Schweizer Magazin Republik
2019 treffend wie folgt charakterisierte: "Ganser [stellt] Suggestivfragen,
reisst Zitate und Bildquellen aus dem Zusammenhang und verschweigt alles, was
nicht in sein Argument passt. [...] Anders als er vorgibt, ist Gansers Argumentation
also weder wissenschaftlich noch offen, sondern hochgradig manipulativ."
Seine Belege entstammen häufig unseriösen Quellen (von der Website des KOPP-Verlags
bis zum Periodikum der 2002 aufgelösten Psychosekte Verein zur Förderung der
Psychologischen Menschenkenntnis), auf Quellenkritik wird großzügig verzichtet.
Etablierte Forschungsergebnisse werden mit Verschwörungsgeraune auf eine Stufe
gestellt, längst widerlegte Behauptungen als Evidenz angeführt, statt inhaltlicher
Evidenz werden angebliche Motive angeboten. Die Argumentationsstruktur ist,
wie im konspirationistischen Gewerbe üblich, so angelegt, dass "einem
die Beweise wie von selbst in den Schoß fallen, sobald man die Schuldigen identifiziert
hat." Der rhetorische Kniff, lediglich Fragen stellen und Diskussionen
führen zu wollen, dient sowohl der Selbstimmunisierung gegen Fakten und Kritik,
als auch der narzisstischen Befriedigung des Publikums, vermeintlich kraft eigener
intellektueller Leistung zu Gansers Schlüssen gekommen zu sein und die allgegenwärtigen
finsteren Hintergrundmächte durchschaut zu haben.
Kritik wird von Ganser und seinen Verteidiger*innen grundsätzlich als Versuch
diffamiert, unbequeme Stimmen zum Schweigen zu bringen. Der Ausschluss aus der
seriösen akademischen Gemeinschaft, eigentlich Nachweis der Unhaltbarkeit seiner
Arbeitsweise, wird zum Ritterschlag umgedreht und verleiht ihm – vor wissenschaftsskeptischem
und verschwörungsaffinem Publikum – erst richtige Glaubwürdigkeit. Die Selbstdarstellung
"als jemand, der die Fesseln des akademischen Betriebs abgeworfen hat,
um weiterhin die Wahrheit sagen zu können", ist ein zentrales Element
seines Appeals – und Geschäftsmodells. Zu letzterem zählen für Vortragsveranstaltungen
ungewöhnlich hohe Eintrittspreise (für die angekündigten Österreich-Termine
etwa €40 pro Ticket), mit denen Honorare von mehreren tausend Euro pro Vortrag
finanziert werden, und Online-Kurse, deren Teilnehmer*innen dreistellige Eurobeträge
für das Ansehen von Videos bezahlen.
Gansers Österreich-Tournee soll am 26. Jänner in Innsbruck starten, fünf
weitere Termine sind geplant. Im Impressum der Website, über die der Ticketverkauf
abgewickelt wird, findet sich mit Johann Peter Schutte ein verhinderter (da
an den nötigen Unterstützungserklärungen gescheiterter) Kandidat zur Bundespräsidentschaftswahl
2022. Schutte, der selbst krude Thesen zu Pandemie und Impfungen vertritt,
hatte Ganser schon im Frühjahr 2022 für zwei Veranstaltungen nach (Ober-)Österreich
geholt. Titelgebendes Thema der nun angekündigten Vorträge ist der Krieg in
der Ukraine. Gansers Analyse dieses Konflikts gibt im Vorfeld wenig Rätsel
auf, hat der Schweizer doch schon vor acht Jahren die wahren Schuldigen ausgemacht
und diese Analyse seither vielfach bekräftigt. Aggressor seien einmal mehr
die USA, welche die NATO über Gebühr ausgedehnt und 2014 einen Putsch in der
Ukraine inszeniert hätten. Der Abschuss der Passagiermaschine MH17 im selben
Jahr wiederum könnte eine False-Flag-Operation von ukrainischer Seite gewesen
sein. Wie schon Gansers Interpretation des Konflikts schmiegt sich auch sein
Lösungsansatz ganz in die Propagandanarrative des Kreml: die Ukraine sei gut
beraten, die Waffen niederzulegen und Territorium gegen Frieden abzutauschen.