Unsere Gesellschaft ist längst keine moralische Monokultur mehr, die sich
fast vollständig zum Christentum bekennt. 1951 waren noch 89% der österreichischen
Bevölkerung katholisch. Heute ist es kaum mehr als die Hälfte, während über
30% konfessionsfrei sind.
Die Zahlen werden von Balázs Bárány regelmäßig im Atheisten-Wiki aktualisiert.
Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass diese Menschen ungläubig sind, aber
genau so wenig ist der Glaube Voraussetzung, Mitglied einer anerkannten Religionsgemeinschaft
zu werden oder bleiben. Es soll ja sogar im katholischen Klerus Agnostiker und
Atheisten geben.
Dass der Katholismus unsere Kultur und Gesetze nachhaltig geprägt hat, ist
unbestritten, aber das erhebt diesen Einfluss nicht zum Verdienst oder gar zur
unauflöslichen Traditionsdividende. In diesem Sinn sollten auch die gesetzlichen
Feiertage mit religiösem Charakter hinterfragt und an den kulturellen Pluralismus
des 21. Jahrhunderts angepasst werden. Zehn der 13 sich jährlich wiederholenden
Feiertage in Österreich haben einen christlichen Hintergrund. Da es sich um
gesetzliche Feiertage handelt, die für alle gelten, könnte es ganz pragmatisch
egal sein, warum der Tag (für viele, aber nicht alle) arbeitsfrei ist. Abgesehen
davon wissen vermutlich die meisten Katholikinnen nicht einmal, was an Mariä
Empfängnis oder Fronleichnam gefeiert wird. Wahrscheinlich tun sich viele sogar
schwer damit, Ostern oder Pfingsten zu erklären. Doch die Verortung der Feiertage
im religiösen Verdienstkreis hat auch symbolische Wirkung. So hört man als
Ungläubiger gelegentlich Aussagen wie: "Als Atheist darfst du ja gar nicht
Weihnachten feiern."
Angesichts der rückläufigen Zahlen der Mitglieder christlicher Kirchen Ausdruck
einer paradoxen Schadenfreude, die statt Dankbarkeit eher dazu geeignet ist,
Mitleid zu provozieren.
Wie können wir der weltanschaulichen Vielfalt gerecht werden?
Wie in anderen Lebensbereichen auch begegnet man die Herausforderung der heutigen
Diversität mit einem gesunden Ausmaß an positiver Indifferenz. Anstatt einzelne
Gruppen oder Individuen besonders herauszuheben, werden die Privilegien einfach
abgeräumt. Das heißt die Lösung liegt nicht darin, neben Allerheiligen auch
Hannukah, Ramadan, Ramendan, 420 usw. als Feiertage zu etablieren, sondern die
Feiertage zu säkularisieren und zu personalisieren. Weltliche Begründungen
lassen sich sehr einfach finden oder auch einfach willkürlich festlegen, um
Tage zu bestimmen, die als neue Feiertage gelten. Und wer aus weltanschaulichen
Gründen an ganz speziellen Tagen unbedingt frei haben muss, könnte ein Kontingent
an unbedingten Urlaubstagen bekommen, die im Dienstvertrag einfach festgelegt
werden. Wenn knapp 60% der Christen dann den Karfreitag und Ostermontag frei
haben wollen, wird Ostern auch ohne staatlichen Nachdruck ein kollektives Fest
bleiben.