Echte Daten, falsche Deutung?

Echte Daten, falsche Deutung?

Notizen 497 vom 6.5.2023 von Peter Ripota – hier online gestellt am 8.5....

Heutzutage ist es nicht leicht, an echte Fakten heranzukommen. Aber selbst wenn - ist ihre Deutung korrekt? Drei Beispiele, die zur Vorsicht mahnen.
Zufall - Absicht?

In dem Krimi "Das Sterben in Wychwood" ("Easy to Kill") von Agatha Christie sieht sich der Amateur-Detektiv mit einem seltsamen Rätsel konfrontiert. Eine freundliche alte Dame, die er im Zug kennen lernte, erzählte ihm, dass in ihrem kleinen Dorf ein irrer Serienmörder umgehe, aber sie fahre jetzt zu Scotland Yard, um diese Person zu melden. Der junge Mann schüttelt innerlich den Kopf, doch am nächsten Tag ist die Dame tot, von einem Auto überfahren, das anschließend Fahrerflucht beging. Das Kennzeichen des Autos deutet auf genau dieses Dorf hin! Und so macht sich der Mann auf, das Rätsel zu klären. Tatsächlich gab es eine Reihe unglücklicher tödlicher Unfälle: ein Junge fällt von der Leiter und bricht sich das Genick; ein Besoffener fällt in den Fluss, wo er ertrinkt; eine Schwangere stirbt an Blutvergiftung. Um die Sache noch komplizierter zu machen, gibt es dort einen Mann, der behauptet, es wäre der Schutzengel Gabriel, der all diese Menschen in den Tod schicke, nachdem sie ihn beleidigt hätten. Zufälle, Verfolgungswahn, oder ein echter irrer Mörder? Bis zuletzt lässt die Meisterin des konstruierten Verbrechens den Detektiv und natürlich auch den Leser im Unklaren, und die überraschende Lösung will ich hier nicht verraten. Denn es geht um die korrekte Interpretation von Fakten. Schauen wir uns dazu drei Beispiele an!

Hitler - Jesse Owens
Bei den Olympischen Spielen 1936 wollte Hitler einen guten Eindruck machen: Deutschland ist weltoffen, tolerant friedliebend. Dieser Eindruck wäre ihm beinahe auch gelungen, wenn ihm nicht ein amerikanischer Sportler einen Tropen Gift ins Friedensgesäusel gespült hätte: Der erfolgreichste Sportler mit den meisten Goldmedaillen war ein Neger, also ein Angehöriger einer minderen Rasse, wovon nicht nur der Führer der Deutschen überzeugt war, sondern auch der Präsident der USA. Jedenfalls konnte Hitler diesen Mann - Jesse Owens - nicht gleich behandeln wie all die arischen Menschen. All den Gewinner hatte er persönlich die Hand gedrückt, bei Jesse Owens weigerte er sich. Naja, überrascht niemand, schließlich war Hitler Rassist, was er ja selber zugab.
Aber war es so? Die Fakten stimmen, die Deutung ist falsch. Lassen wir Wikipedia zu Wort kommen:
"Gegen das hartnäckige Gerücht, Hitler habe Owens den Handschlag verweigert, wurden verschiedene Einwände vorgebracht: Demnach habe Hitler tatsächlich Jesse Owens nicht persönlich gratuliert, aber an diesem Tag auch keinem anderen Athleten die Hand gereicht. Am ersten Tag der Spiele hatte er noch allen deutschen Athleten gratuliert, was ihm Ärger mit dem Olympischen Komitee einbrachte. Aus Gründen der olympischen Neutralität müsse er allen Athleten gratulieren oder keinem. Hitler entschied sich für Letzteres und gab von da an generell keinem Athleten mehr als Ausdruck der Anerkennung seiner Leistungen die Hand."
Ja, Owens sagte später, der Führer der Deutschen hätte ihn besser behandelt als der Führer seines eigenen Volkes, was auch stimmt. Es gäbe sogar ein Foto, wo ihm Hitler jenseits der Öffentlichkeit die Hand schüttelte. Aber zumindest das Foto in diesem Beitrag ist, wie jeder sehen kann, gefälscht.

Stockton - Peter
In den 1820iger Jahren etablierte sich in den USA eine Bewegung, die man am besten als "Amerika den Amerikanern (und Afrika den Negern)" umschreiben könnte. Von verschiedenen Seiten gab es die Absicht, die USA von Schwarzen zu befreien und diese in Afrika anzusiedeln. Zur Vorbereitung dieses Projekts wurden einige tüchtige Mannen ausgesandt, die tatsächlich ein Stück Land in Sierra Leone kauften, wo sich wirklich eine Kolonie ausgewanderter freigelassener Negersklaven ansiedelte und den Staat "Liberia" begründete.
Der Haupt-Verhandlungsführer war ein Marine-Admiral namens Robert Field Stockton (1795-1866). Er war der erste amerikanische Marineoffizier, der sich gegen den Sklavenhandel wandte und einige Sklavenschiffe aufbrachte. Auch sonst zeichnete er sich durch eine höchst liberale Gesinnung aus (gegen Sklaverei, gegen die Auspeitschung von Marine-Kadetten, gegen einen Bürgerkrieg). Dennoch erzielte er den Landkauf mit Waffengewalt: Er bedrohte die einheimischen Könige/Häuptlinge/Stammesfürsten/Landbesitzer, woraufhin diese - wohl unter Zwang - den Übertragungsvertrag unterschrieben.
Der Historiker Patrick Carl Barrows forschte nach. Er fand den Kaufvertrag mit den fünf "Königen" (einer davon hieß Peter) und darin eine Bestätigung für das, was allgemein behauptet wird: Stockton hatte tatsächlich seine Pistole auf die Häuptlinge gerichtet. Doch die Motivation war eine völlig andere, als man gemeinhin annimmt.
Zwei Leute aus Freetown tauchen auf, ein Sklavenjäger und ein Sklavenhändler; sie wollen den Landaufkauf verhindern. Der Sklavenschiff-Händler behauptet, das Schiff von Stockton hätte ihn beschossen. Aber Stockton war unbewaffnet gekommen, bis auf zwei Pistolen, die er immer bei sich trug für eventuelle Duelle. Mit diesen Pistolen zwang er seine Zuhörer, die Sklavenhändler und die Häuptlinge, zum Zuhören: Es war genau umgekehrt. Offenbar glaubten ihm die Häuptlinge, denn am folgenden Morgen stimmten sie dem Verkauf zu.

Tanz - Musik
Wir müssen nicht auf Medien und Kriege zurückgreifen. Solche Dinge erleben wir vermutlich jeden Tag selber. Hier ein persönliches Erlebnis aus der Tango-Szene:
Ein Tangopaar, sie Lehrerin, er Musiker, hatte sich getrennt und wieder
zusammengefunden. Bei einem Live-Konzert mit einem fantastischen Orchester (zu dessen Musik man wunderbar tanzen konnte) saßen sie nur schweigsam am Tisch und starrten aneinander vorbei. "Mit denen ist wohl wieder nichts" sagte ich zu meiner Frau, aber das glaubte sie nicht. So setzte sie sich zu ihnen und erfuhr die ganze Wahrheit: Er wollte erst gar nicht mitgehen, aber nicht, weil er Beziehungsprobleme hatte, sondern wegen seines absoluten Gehörs! Jede Verstimmung eines Instruments (die unvermeidlich bei jedem Instrument irgendwann mal eintritt) bereitete ihm körperliche Qualen. So saß er bei der Live-Musik da und zwang sich mit großer Willenskraft, nicht aus der Haut zu fahren.
Fazit: Selbst korrekte Fakten können völlig inkorrekt gedeutet werden. Es kommt immer auf den Zusammenhang an!

Ich freue mich immer über Kommentare, Bemerkungen, Zuspruch. Am besten an meine Privatadresse oder über Facebook.

Wenn Sie meine früheren Notizen kennen lernen oder nochmals lesen wollen, Sie finden diese auf meiner Website

Anmerkung atheisten-info: heute könnte man das obige Foto mit dem Klone-Pinsel noch überzeugender basteln, siehe Überkreuzung von Arm & Uniform: