Papst Ratzinger ließ in einem am 12. Oktober 2010
verbreiteten "apostolischen Brief" wissen, dass im September ein
neuer Päpstlicher Rat zur Förderung der Neuevangelisierung
eingerichtet wurde. Europa war durch Jahrhunderte voll
katholisch und hat sich dann in einem Jahrhunderte dauernden
Befreiungskampf daraus gelöst. Jetzt sind wir im praktischen
Leben zu hohen Teilen evangelienfrei. Dagegen muss der Vatikan nun
einschreiten mit einer Neuevangelisierung. Den religiös
Desinteressierten muss das christkatholische Evangelium wieder nahe
gebracht werden!
Daher hebt der Papst an: "Überall und immer hat die Kirche
die Verpflichtung, das Evangelium von Jesus Christus zu verkünden.
Er, der erste und höchste Evangelisierer, gab den Aposteln am Tag
Seiner Himmelfahrt zum Vater den Auftrag: 'Darum geht zu allen
Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den
Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt
sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe.' In Treue
gegenüber diesem Auftrag hat die Kirche - das Volk, das Gott sich
erworben hat, damit es seit dem Pfingsttag, an dem es den Heiligen
Geist als Gabe erhalten hat, Seine bewundernswerten Werke verkünde -
nie nachgelassen, der ganzen Welt die Schönheit des Evangeliums
bekannt zu machen, indem sie Jesus Christus als wahren Gott und als
wahren Menschen verkündet: derselbe 'gestern, heute und in
Ewigkeit', der mit Seinem Tod und Seiner Auferstehung die Erlösung
bewirkt und somit die alte Verheißung zur Erfüllung gebracht hat.
Deshalb ist die Sendung zur Evangelisierung als Fortführung des vom
Herrn Jesus gewollten Werkes für die Kirche notwendig und
unersetzbar, ja Ausdruck ihres eigenen Wesens."
Ratzinger schreibt dann über die Entwicklung zur heutigen Zeit,
über die Fortschritte von Wissenschaft und Technik und bedauert
zutiefst: "Dies alles ist auch nicht ohne Konsequenzen für die
religiöse Dimension des Lebens des Menschen geblieben. Und wenn die
Menschheit aus diesen Veränderungen heraus einerseits unleugbare
Vorteile erfahren und die Kirche weiteren Ansporn erhalten hat,
Rechenschaft zu geben von der Hoffnung, die sie erfüllt, hat sich
andererseits ein besorgniserregender Verlust des Sinnes für das
Heilige gezeigt, was sogar zur Infragestellung jener Fundamente
geführt hat, die außer Frage zu standen schienen, wie der Glaube an
Gott, den Schöpfer und Erhalter, die Offenbarung Jesu Christi als
des einzigen Erlösers und das gemeinsame Verständnis der wichtigsten
Erfahrungen des Menschen, was die Herkunft, das Lebensende, das
Leben in einer Familie und den Bezug zu einem natürlichen sittlichen
Gesetz betrifft."
Dass der Jesus und seine Sitten immer weniger Leute
interessieren, das kann Papst Ratzinger nicht akzeptieren, dagegen
muss er einschreiten. Es wird der Päpstliche Rat für die
Förderung der Neuevangelisierung errichtet. Dieser Rat soll sich vor
allem um die Bereiche kümmern, wo sich die Wirklichkeit der
Säkularisierung deutlicher manifestiert. Der Rat soll dann die
Kirchen anleiten, die Neuevangelisierung voranzutreiben.
Wie das geschehen soll, steht in diesem Brief allerdings
nicht. Gehen jetzt auch katholische Duos von Tür zu Tür und
verkünden die "frohe Botschaft"? Ein wenig erfolgsversprechender
Weg. Die Zeugen Jehovas gehen seit hundert Jahren und haben
trotz dieses intensiven Einsatzes in Österreich bloß um die 20.000
Mitglieder. Was soll die katholische Kirche "evangelisieren"?
Dass das Evangelium schön und der Jesus lieb ist? Dass wir uns zu
unserem ewigen Wohl an die katholischen Sittengesetze halten sollen?
Dass uns der Herr Jesus von den Sünden erlöst und wir dann post
mortem seelenmäßig in den Himmel kommen? Glaubt Ratzinger im Ernst,
dass so eine "Neuevangelisierung" irgendwelche Volksmassen zuhauf
strömen lässt? Sowas funktioniert vielleicht in Elendsgebieten
der Dritten Welt, wo Pfingstler mit ihren Religionsshows einfachen
Leuten Aussichten auf Erlösungen aus den Übeln vorgaukeln, also dem
Volk sein Opium anbieten. Wir wissen es ja seit 1844 als Karl Marx
die berühmtesten Zeilen der Religionskritik schrieb: "Das
religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und
in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion
ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen
Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium
des Volkes."
Aber sind wir hier in Europa nicht doch schon etwas über dem
Elend und weg von religiöser Protestation gegen das Elend? Die
bedrängte Kreatur seufzt nimmer religiös, die seufzt (seit es keine
politische Linke mehr gibt) schlimmstenfalls rechtspopulistisch. Das
Gemüt einer herzlosen Welt ist inzwischen grün und
linkssamariterisch, nur als Geist geistloser Zustände hätte die
Religion noch Erfolgsaussichten. Aber so geistlos wie zu den
religiösen Erfolgszeiten ist die aufgeklärte europäische Welt nur
mehr in Ausnahmefällen.
In der Diözese Wien hatte man im Mai 2010 eine Woche lang
versucht, ein bisschen zu missionieren, die Pfarren sollten
Aktivisten unters Volk schicken und die Religion ins Gespräch
bringen. Das bisher wahrnehmbare Echo auf diese Aktion deutet auf
einen furchtbaren Flop hin, siehe Info Nr.
196. Am 14. Oktober startet die 3. Diözesanversammlung, die 1.
und die 2. hatten diese "Missionswoche" vorbereitet, das Programm
der dritten Versammlung ist so unbestimmt formuliert, dass man nur
vermuten kann: es geht nicht um Erfolgsberichte zur Missionswoche
vom Mai. Wie man die Konkretisierung des Scheiterns dieser
"Neuevangelisierungswoche" auf der Versammlung umgehen will, wird
man also erst in den Berichten danach sehen.
Eine Fortsetzung zum Thema "Neuevangelisierung" folgt also auch hier
auf dieser Atheisten-Site. Wir Atheisten brauchen nicht
missionieren, weil wir eh von selber mehr werden und die Religiösen
weniger. Aber es macht Spaß und Freude, dies zu beobachten und zu
kommentieren!
PS vom 18.10.: Sobald Berichte über die Wiener
3. Diözesanversammlung greifbar sind, gibt es auch auf dieser Site Infos dazu,
am Vormittag des 18.10. war noch nichts Zusammenfassendes zu finden.
PPS:
Fortsetzung auf Info Nr. 322!