Über die christliche Zwangsethik

Mitten im Wahlkampf zur Nationalratswahl am 29.9.2013 gruben der christliche ÖVP-Staatssekretär für Integration, Sebastian Kurz, plus die österreichischen Religionsgemeinschaften ein gemeinsames Anliegen aus (siehe dazu auch Info Nr. 1587).

Da der Religionsunterricht in Österreich ständig sinkendes Interesse erzeugt, will man gemeinsam mit staatlichen Zwangsmaßnahmen zumindest gegen Abmeldungen vom Religionsunterricht in den Oberstufen vorgehen.
Wer nicht religionisiert, der soll zwangsgeethikt werden. Es gibt in Österreich die Einrichtung des staatlich finanzierten Religionsunterrichts für SchülerInnen, die einer staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft angehören, der Mitgliedernachwuchs der Kirchen wird also aus öffentlichen Mitteln in öffentlichen Schulen ausgebildet.

Das ist den Kirchen und ihrer Interessensvertretung, der ÖVP, zuwenig. Der Religionsunterricht muss wegen seines weltfremden und praxisfernen Inhalts ständig an den Zeitgeist angepasst werden, damit er auch im städtischen Bereich wenigstens noch ein bisschen Zuspruch findet. Was nur bedingt nutzt, in den Oberstufen gibt es Serienabmeldungen von der Teilnahme, weil zunehmend mehr Schülerinnen und Schüler der religiöse Quargel überhaupt nimmer interessiert und zwei Freistunden, statt zwei Religionsstunden als deutliche Verbesserung gesehen werden.

Das Recht auf Abmeldung vom Religionsunterricht besteht seit der Einführung der Religionsfreiheit im Staatsgrundgesetz von 1867.
Als durch die Säkularisierung diese demokratische Grundfreiheit immer mehr in Anspruch genommen wurde, drängten schon in den 1990er-Jahren die Kirchen und die ÖVP mit Vehemenz darauf, Nichtteilnehmern am Religionsunterricht strafweise Ersatzpflichten aufzuerlegen, obwohl in Österreich schon längst keine Religionspflicht mehr besteht.

Wer nicht in Religion geht, so wurde postuliert, dem fehlt etwas, der hat keine Ethik! Also her mit einem Ethikunterricht für alle, die keinen Religionsunterricht besuchen, entsprechende Schulversuche wurden 1997 eingeführt und laufen immer noch. Wobei die ÖVP sehr darauf drängt, dass dieser zwangsweise Ethikunterricht für Nichtreligiöse möglichst von Religionslehrern gehalten werden soll, damit kein junger Mensch ohne Unterweisungen über göttliche Ideologien von höheren Schulen abgehen kann.

Man will also indirekt die Verhältnisse in der klerikalfaschistischen Zeit wieder herstellen, weil unterm Dollfuß und unterm Schuschnigg war die Ablegung der Matura ohne Teilnahme am Religionsunterricht auch nicht möglich gewesen. Denn nach der damaligen klerikalfaschistischen Verfassung ging alles Recht von Gott aus. Jetzt soll dies durch einen Zwangsethikunterricht wieder ähnlich gestaltet, eine Art Ersatzreligionspflicht eingeführt werden.

Vom Unterrichtsministerium wurde bisher die Einführung solcher Zwangsmaßnahmen abgelehnt, wenn schon Ethikunterricht, dann für alle und nicht nur für Religionsfreie. Ende Juni 2013 hatte Staatssekretär Kurz vorgeschlagen, einen Unterrichtsgegenstand "Staatskunde" für alle einzuführen (siehe Info Nr. 1494). Nun aber kehrte er wieder zur kirchlich gewünschten Forderung nach Zwangsethik zurück und versuchte am 8.9.2013 das Thema gemeinsam mit den Kirchenfunktionären in den Wahlkampf einzubringen. Dazu erfand er sogar einen angeblichen SPÖ-Plan, den Religionsunterricht abzuschaffen und unterstützt weiter die alte Lüge, wer keine religiöse Ausbildung habe, der habe auch keine Ethik.

Ein Ethikunterricht, der von ideologisch neutralem Lehrpersonal für alle SchülerInnen abgehalten wird, stört die Kirchen natürlich ganz besonders, weil dadurch würden die Abmeldungen vom Religionsunterricht nicht geschmälert, sondern weiter gesteigert.

In der ganzen Sache sind es zwei Dinge, die wegen ihres politischen Extremismus Angst erregend sind:
1. dass Religionslosigkeit Ethiklosigkeit bedeute,
2. dass die Religionen unentbehrliche ethische Lehren anzubieten hätten,
und Religionsfreie darum versäumte Pflichten nachholen müssten.
Aus dem Privileg der staatlichen Religionseinschulung für Religiöse wird eine politisch-ideologische verfassungsfeindliche Bedrohung für Säkulare.

Es sind jedoch z.B. beim Zivildienst Konfessionsfreie überrepräsentiert, beim Wehrdienst sind Mitglieder von Religionsgemeinschaften überrepräsentiert. Somit ist die Ethik der Hilfe für die Mitmenschen bei Religionsfreien erkennbar wesentlicher als für religiös Gebundene. Und im Alltag ist nicht wahrnehmbar, dass sich Leute mit oder ohne Religionsunterricht in ihrem mitmenschlichen Verhalten unterschieden, höchstens, dass besonders Religiöse oft auch besonders hasserfüllt gegenüber als "Sünder" gesehene Menschen sind, also etwa gegen unverheiratete Paare, ledige Kinder, Homosexuelle u.ä.

Und was haben Glaubensgemeinschaften an Ethik zu bieten?

Die zehn Gebote? Dass man an einen Gott glauben müsste und am Sonntag in die Kirche zu gehen hätte? Wo sind die religiösen Werte, die alle Menschen verinnerlichen müssten?
Siehe dazu:
Religiöse Werte und
Schulunterricht
Das
Märchen von der Bedeutung christlicher Wertevermittlung
Wie
ethisch ist die Christenlehre?

Man kann nur zum Schluss kommen: Ethikunterricht entweder für alle oder überhaupt nicht.
Andererseits gibt es ja in Österreich an den AHS den zweijährigen Philosophischen Einführungsunterricht, dort die Ethik als eigenen Abschnitt zu behandeln, erreichte alle Schüler und könnte auch religiös Verbildeten entsprechende Hilfe bringen.

Für die Religionsgemeinschaften zeigt sich jedenfalls klar ihre völlige Uneignung als ethische Wertebringer: wenn ihnen die Leute davon laufen, dann muss der Staat dagegen mit Zwangsmittel vorgehen! Das ist es, was wir wertemäßig aus dieser Geschichte lernen, religiöse Werte sind Macht- und Herrschaftswerte!