Am 12.5. brachte der britische Guardian seinen Korruptions-Artikel To end corruption, start with the US and UK. They allow it in broad daylight (Um
die Korruption zu beenden, muss man zuerst dort dagegen angehen, wo sie
unverhohlen grassiert – in den USA und in Großbritannien). Darin beschreibt der Ökonom Jeffrey Sachs
den Zusammenhang mit der Steuerflucht; und der Kampf gegen die
Korruption enthalte einiges an Absurdität, weil soviel davon unter den
Augen der Öffentlichkeit stattfindet.
Die NachDenkSeiten machen daraus am 20.5. den Artikel "Wer
die Korruption beenden will, muss in den USA und im Vereinigten
Königreich beginnen. – Dort wird sie in aller Öffentlichkeit geduldet.".
Bei wissenbloggt wird ein eigenes Referat dazu spendiert, denn die
Grundaussage ist einigermaßen schockierend. Demnach sind Korruption
& Steuerflucht so eklatant und unvermeidbar, dass sie kaum zu
bekämpfen sind – die Anstrenungen seien "surreal".
Damit bezieht sich Jeffries auf einen Oxfam-Artikel vom 9.5. von ihm
selber und anderen Koryphäen wie Thomas Piketty, Nora Lustig und Angus
Deaton, Tax havens ‘serve no useful economic purpose’: 300 economists tell world leaders.
Insgesamt 300 führende Ökonomen aus 30 Ländern belehren ihre
Regierungen: "Steueroasen entstehen nicht aus Versehen. Sie werden
absichtlich und zielgerichtet vor allem von den USA und Großbritannien
aus eingerichtet, mit Hilfe der Regierungen und mächtigen Anwalts- und
Finanzorganisationen, die das Geld bewegen."
Man habe die Panama Papers nicht gebraucht, um das zu wissen. Aber die
Wissenschaftler sagen, dass dieser Missbrauch schnell beendet werden
muss. Das bekräftigt Sachs in dem Guardian-Artikel, die Politiker sollen
gefälligst nicht über Korruption in Nigeria oder Afghanistan munkeln,
sondern auch gegen die Steuerflucht angehen und die Rolle der
Haupt-Täterstaaten in dieser schmutzigen Schweinerei beenden.
Eine beherrschende Form der Steuerflucht-Korruption ist der Einsatz von
Strohfirmen, mit dem einzigen Ziel, die Identität der Eigentümer zu
verschleiern und sie vor Verantwortung und Rechenschaftspflicht zu
schützen. Als die Panama Papers veröffentlicht wurden, gab es eine
erstaunliche Rechtfertigung der betroffenen Firma Mossack Fonseca: In 40
Jahren habe man 300.000 Firmen gegründet, und nur weniger als 1% seien
von den Leaks betroffen. Also sei die große Mehrheit legal, und die
eigene Überwachung auf Regeleinhaltung sei mit der gebührenden Sorgfalt
durchgeführt worden.
Sachs mockiert sich darüber: 300.000 Firmengründungen in 40 Jahren sind
durchschnittlich 30 pro Arbeitstag, das Gerede von Sorgfalt ist
lächerlich, der Missbrauch der Firmengründungen eklatant. Es handelt
sich um ein Netzwerk der straffreien Korruption, in dem das Vereinigte
Königreich das Zentrum bildet. Darin zeigt sich das Vermächtnis des
britischen Empires und die Macht der City of London beim Transfer
unversteuerter Gelder rund um den Globus. Z.B. die Britischen
Jungferninseln haben bei 28.000 Einwohnern rund 1 Million registrierte
(aktuell 1/2 Million aktive) Firmen, ca. 35 (bzw. 17) Firmen pro
Einwohner. Damit sind sie Spitzenreiter in den Panama Papers.
Die Ausläufer der Korruption greifen tief ins Finanzsystem von GB und
USA. Die Banken der City of London und der Wall Street mussten über die
Jahre hinweg zig Milliarden Dollar Strafen zahlen, für Insiderhandel,
Finanzbetrug, Preisabsprachen usw. Trotzdem wurde kaum ein führender
Banker wegen Gesetzesverstößen drangekriegt. Man kommt kaum an der
Folgerung vorbei, dass die großen Finanzfirmen Teil eines globalen
Netzwerks organisierter Finanzkriminalität sind.
Am schlimmsten ist es, dass die Steueroasen und Banker noch in den
schamlosesten Fällen öffentliche Fürsprecher finden. Es gibt
beispielsweise einen konservativen britischen Parlamentsabgeordneten,
immerhin früherer Generalstaatsanwalt von England und Wales und Mitglied
des Privy Council (Kronrat der Königin), der sich nicht entblödet,
Partei für die Britischen Jungferninseln zu ergreifen. Sie seien dazu
"berechtigt", ihre Steueroase nach eigenem Ermessen zu organisieren.
Großbritannien und die USA bilden das Zentrum des globalen
Missbrauchssystems. Großbritannien hat Ende 19., Anfang 20. Jahrhundert
das moderne Welt-Finanzsystem geschaffen. Nach dem 2. Weltkrieg wurde
die Wall Street zum 2. Führer der Branche. In den beiden Ländern bauten
hunderttausende von Anwälten, Bankern, Hedgefond-Managern, Politikern,
Rechnungsprüfern und Finanzaufsehern ihr System auf. Es zielt bewusst
auf Steuervermeidung für die Reichen und versteckt inzwischen mehr als
20 Billionen US-Dollar, um sie vor Steuerbeamten, Gesetzeshütern,
Umweltschutzbestimmungen und generell vor Verantwortung zu schützen.
Sachs gewinnt der Tatsache, dass der Anti-Korruptions-Gipfel in London
stattfand, immerhin etwas Positives ab. Doch trotz geschätzten 2-4
Billionen Dollar Schaden pro Jahr durch die Korruption insgesamt war das
Ergebnis im wesentlichen der Spruch: "Notwendig sind nicht nur schöne
Worte sondern Taten."
Man hat also nicht zwischen den großen und den kleinen Übeltätern
unterschieden. Man hat die Korruption in Nigeria, Afghanistan und
sonstwo kritisiert, aber man ist nicht gegen die Haupttäter angegangen,
sprich USA und GB. Dabei hat Großbritannien auch bei der normalen
Korruption lange mitgeholfen, was mit einem Royal-Dutch-Shell-Link von
2010 belegt wird – und mit einer alten englischen Weise zum Thema alle sind gleich, und einige noch gleicher (Übersetzung wb):
The law demands that we atone
When we take things we do not own
But leaves the lords and ladies fine
Who take things that are yours and mine.
Gesetze können nicht verhehlen
Dass Strafen drohen, wenn wir stehlen
Das gilt für alle gleich, doch gleicher
Sind die Lords, drum sind sie reicher.
Die NachDenkSeiten subsumieren, die Aussagen von Jeffrey Sachs
klassifizierten wesentliche Teile der US- und GB-Politik mit ihrer
weltweiten imperialen Einflussnahme als gefährlich bis tödlich. Das geht
ein bissel über das hinaus, was der Autor gesagt hat, obwohl der
durchaus drastische Worte gebrauchte. Bleibt die Berechtigung zu sagen,
die internationale Politik werde wesentlich von einflussreichen, sehr
zweifelhaften Kreisen bestimmt. Das "zweifelhaft" hat er zwar auch nicht
gesagt, vielmehr ist seine Behauptung, dass es aus der Mitte des
Systems kommt.
Immerhin darf man den Abgesang an die Zweifler unterstützen, den die NachDenkSeiten anstimmen: Der
Beitrag von Sachs sollte jenen ins Stammbuch geschrieben werden, die
sofort "Verschwörungstheorie" rufen, wenn man die bittere
Fremdbestimmung der Politik vieler Völker einschließlich des deutschen
auch nur andeutet.
Noch eine lobenswerte Forderung der NachDenkSeiten lautet, wir
sollten endlich sicht- und hörbarer auf die Tagesordnung setzen: Es wäre
nicht schlimm, wenn England die europäische Union verlassen würde. Und
es ist wichtig, dass sich Europa auf mittlere Sicht von der
Vormundschaft der USA befreit.
Links dazu:
Leak, leaker, am leaksten IV
Leak, leaker, am leaksten III
Leak, leaker, am leaksten II
Leak, leaker, am leaksten
Anti-Korruptions-Bericht der EU
"Faschistische Staaten von Amerika"
Pakt gegen Steuerflucht wirkungslos
Angebliche EU-Aktion gegen Steueroasen
G20 heißt weiterschlafen